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Nach dem Massaker – Spielfilm beschreibt das Überleben im Kosovo

Eine willensstarke Kosovarin löst sich aus dem Schock über das Massaker an den Männern ihres Dorfes. Mit anderen Frauen beginnt sie, eigene Waren zu verkaufen. Arte zeigt die Charakterstudie kurz vor Weihnachten.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die kosovarische Filmemacherin Blerta Basholli erzählt in ihrem sehenswerten Debüt die wahre Geschichte von Fahrije Hoti, die nach dem Massaker des serbischen Militärs in ihrem Ort eine Kooperative gründete, um den Familien der vermissten Männer eine Perspektive für die Zukunft zu eröffnen. Der Ort wurde am 25. März 1999 von serbischen Truppen niedergebrannt und 140 Frauen wurden zu Witwen.

Der Film kreist darum, wie sich Fahrije (Yllka Gashi), die ohne letzte Gewissheit über den Tod ihres Mannes ist, sich nach Jahren aus der Schockstarre löst und die besagte Kooperative ins Leben ruft. In den altväterlichen Strukturen des Dorfs stößt dieses selbstbestimmte Unterfangen jedoch auf Widerstand. In einer Gratwanderung zwischen sozialrealistischem Melodram und stilisiertem Happy End angelegt, entfaltet sich der Film als komplexe Charakterstudie einer willensstarken Frau. Still und zugleich kraftvoll erfasst er die allmähliche Heilung einer schwer traumatisierten Dorfgemeinschaft.

Ein seltenes Lächeln huscht über die Lippen der Witwe Fahrije. Sie hat die für sie so wichtige Führerscheinprüfung bestanden, und der örtliche Frauenverein hat ein eigenes Auto angeschafft. Eine Frau am Steuer, ohne – das Getratsche ist spätestens jetzt groß und die Männer der Stadt schauen missbilligend auf sie herab.

In dem konservativen Dorf Krusha e Madhe im Süden des Kosovo dürfen Frauen weder arbeiten noch Auto fahren. Doch Fahrije muss ihre zwei Kinder und den kranken Schwiegervater durchbringen. Der weist sie dennoch zurecht, sie müsse wissen, wo ihr Platz in der Familie sei. Ihr 1999 im Kosovokrieg verschleppter Ehemann Agim würde sich sicherlich für sie schämen, vermutet der Alte. Doch Fahrije bleibt stur, denn die Bienenstöcke ihres Ehemannes reichen kaum aus, um die Kosten der Familie zu decken.

Die kosovarische Filmemacherin Blerta Basholli erzählt in ihrem Debüt, das Arte am 18. Dezember um 23.30 Uhr ausstrahlt, die wahre Geschichte von Fahrije Hoti, die nach dem Massaker des serbischen Militärs in ihrem Ort eine Kooperative gründete, um den Familien der vermissten Männer eine Perspektive für die Zukunft zu eröffnen. Der Ort wurde am 25. März 1999 von serbischen Truppen niedergebrannt; 140 Frauen wurden zu Witwen. Bis heute fehlt von 63 Menschen jede Spur. Weil ihnen in der patriarchalen Struktur des Ortes nichts anderes als das Kochen blieb, verkauften die Frauen hausgemachtes Aijvar. Doch selbst die Zusammenarbeit mit dem Supermarkt in der nächstgrößeren Stadt sorgt für Aufregung.

Basholli erzählt Fahrijes Geschichte als kontemplative Charakterstudie. Seit Jahren befindet sich diese Frau in einer emotionalen Schwebe: Der Wunsch nach Gewissheit über den vermutlichen Tod ihres Ehemannes und die Hoffnung, ihn doch wieder in die Arme schließen zu können, halten sich die Waage, was sie und ihre Familie in eine Art Schockstarre versetzt hat. Beklemmend ist das angespannte Schweigen, das ihr entgegenschlägt, wenn sie durch den Ort geht und weiß, dass sie wegen ihres Versuchs, die Familie mit redlicher Arbeit durchzubringen, schief angeschaut wird, als habe sie Leib und Seele verkauft.

Sie weiß, dass sie Witwe ist – doch solange es keinen Beweis dafür gibt, kann sie nicht weitermachen. Nur nach und nach kann sie die Frauen im Dorf davon überzeugen, dass sie sich nur selbst aus dieser Sackgasse befreien können. Die ersten verkauften Waren versetzen sie in einen Freudentaumel; Rückschläge und Gegenwind aus dem Umfeld ertragen sie zum ersten Mal gemeinschaftlich und deshalb leichter.

Mit der Geschäftigkeit der Frauen setzt eine neue Betriebsamkeit in dem von der Geschichte beschwerten Dorf ein. Und auch ihren Schwiegervater und die von der sturen Mutter peinlich berührte Tochter kann sie langsam für ihren Versuch gewinnen, die drei Generationen der Hinterbliebenen gemeinsam anzusprechen und offen mit Trauer, Wut und Verzweiflung umzugehen.

“Hive” ist in gewisser Weise eine Erfolgsgeschichte, doch tut Basholli gut daran, Fahrijes Unternehmung nicht zu romantisieren. Zwar erzählt sie sozialrealistisch aus dem Leben dieser Frau und ihres Umfelds, das vom Feminismus vergessen worden zu sein scheint. Doch rutscht sie niemals ins Melodram; vielmehr rückt sie die verheerende Zerstörung eines ganzen sozialen Gefüges in den Fokus – und die immense gemeinschaftliche Anstrengung, derer es bedarf, um nach einem solchen kollektiven und persönlichen Trauma weiterzumachen.

So verleiht sie Fahrijes Geschichte mit viel Umsicht und einem Blick für globale Zusammenhänge eine komplexe Universalität, ohne ihre Persönlichkeit zu einem Klischee zu machen. Ihr Film ist gleichermaßen eine Charakterstudie dieser willensstarken Frau und einer Dorfgemeinschaft auf der Suche nach Heilung. Auf dem Sundance-Filmfestival 2021 wurde ihr stiller und doch kraftvoller Film gleich mit drei Preisen ausgezeichnet.

Diese Gratwanderung steht und fällt mit der Hauptdarstellerin Yllka Gashi, die Fahrije als stoische und sture Frau mit wenigen offensichtlichen Gefühlsregungen spielt. Doch lässt Gashi mit der Zeit durchschimmern, dass Fahrije keineswegs eine verhärmte Frau ist, sondern dass sie sich auf das Wesentliche konzentriert.

Sie hat schlichtweg keine Zeit für das Lästern der Dorfältesten, liegt doch ein Berg an Arbeit vor ihr. Deshalb scheint sie auch damit aufgehört zu haben, die Leerstelle zu beweinen, die ihr Mann Agim hinterlassen hat – Basholli verzichtet hier bewusst auf Rückblenden, um diese Leere spürbar zu machen.

Nur in alltäglichen Momenten hält Fahrije kurz inne, etwa wenn sie ihre Tochter und den Großvater beim liebevollen Betrachten des einzigen Fotos belauscht, das vom Vater geblieben ist. Fahrije reflektiert Agims Sanftmut in alltäglichen Momenten, etwa wenn sie sich erinnert, wie sehr er sich freute, als er die Bienenstöcke fertig gezimmert hatte, oder dass ihn die Bienen nie stachen, weil er so behutsam mit ihnen umging. “Er würde es verstehen”, erzählt sie den anderen Frauen – beinahe so, als könnte sie ihrem Schwiegervater selbst offen Widerworte geben.