Seltsames geschieht, als eine Wiener Familie in ein Bergdorf zieht: Die Tochter spricht mit einer Toten, der Hausberg scheint ein Eigenleben zu entwickeln. Gute Mischung aus Mystery-Thriller und Klimawandel-Kommentar.
“Rotten” heißt das verschattete Tiroler Bergdorf, in das die junge Wiener Familie Salinger zieht, und das ist natürlich kein Zufall: Irgendetwas “rottet” hier vor sich hin, ein Geheimnis aus der Vergangenheit, über das die Dorfbewohner schon vor langer Zeit den kühlen Mantel des Schweigens gelegt haben. Und ebenso wie der Schimmel im Haus der Salingers, der trotz Abschrubbens jeden Tag aufs Neue aufblüht, drängen auch die Altlasten des Ortes zunehmend ans Tageslicht in der 6-teiligen Serie “Schnee”, die Arte an den aufeinanderfolgenden Donnerstagen 16. und 23. November jeweils zwischen 20.15 bis 22.35 Uhr ausstrahlt.
Dass da etwas Großes, sehr Großes in Bewegung kommt in Rotten, hat offensichtlich mit der Ankunft der vierköpfigen Familie zu tun. Beziehungsweise: Der Ankunft der 10-jährigen Alma (Laeni Geiseler), deren schweres Asthma auch der Grund für den Umzug war. Das Mädchen scheint übersinnliche Fähigkeiten zu haben, mehr zu sehen und wahrzunehmen als andere.
Doch auch ihre Mutter Lucia (Brigitte Hobmeier), eine Ärztin, ist, wie sich nach und nach herausstellt, offenbar eingewoben in die nun aufbrechenden größeren Zusammenhänge. Zur Familie gehören außerdem Vater Matthi (Robert Stadlober), der selbst in Rotten aufgewachsen ist, und der etwa 7-jährige Bruder Jonas – die zentralen Rollen vor wie übrigens auch hinter der Kamera aber spielen in dieser österreichisch-deutschen Koproduktion die Frauen.
Schon in der ersten Nacht begegnet Alma Marianne, einer Frau, die vor 40 Jahren oben am Berg, dem Muttstein, ums Leben kam. Lucia tut Almas Erzählungen ab und schiebt zunächst auch alle anderen Merkwürdigkeiten mit scheinbar rationalen Erklärungen beiseite: Den Ring, den Alma angeblich von der Toten erhielt, das Wasser, das durchs Dorf rinnt, den Wolf, dem sie beim Joggen begegnet, die düsteren Worte der verrückt wirkenden Nachbarin, Mariannes Mutter. Es ist ein überzeugendes Figuren- und Beziehungstableau und zugleich dichtes dramaturgisches Geflecht, das das Autorenteam Kathrin Richter, Jürgen Schlagenhof und Michaela Taschek hier entwirft.
Daraus entspinnt sich ein mit (fiktiven) örtlichen Legenden und Mythen unterfütterter Mystery-Thriller, der hier stimmig mit einem Familiendrama verschränkt wird und zudem höchst aktuelle Themen erörtert: Es geht um den Klimawandel, die aus dem Gleichgewicht geratene Beziehung zwischen Mensch und Natur.
Der über Rotten thronende Muttstein steht für die ausgebeutete “Mutter” Natur, die zunehmend Respekt einzufordern scheint und vielleicht auch deshalb Mariannes gut konservierte Leiche freigibt: Die Umweltaktivistin starb offenbar keines natürlichen Todes. 40 Jahre später bleibt immer häufiger der Schnee aus – ein Problem für die örtliche Tourismusindustrie, deren Anführer Matthis Eltern mit ihrem riesigen, mittlerweile meist leerstehenden Hotelkomplex sind. Trotzdem votiert der Ort für einen neuen Skilift, für den auch ein Stück Berg gesprengt werden soll…
Souverän und mit traumwandlerisch sicherem Gespür für das Schaffen von Atmosphäre halten die Regisseurinnen Catalina Molina und Esther Rauch die vielen Erzählfäden in der Hand. Es ist eine komplexe Story, die durch eine intensive, düstere Bildsprache und gut entwickelte Suspense überzeugt: Die Filmemacherinnen setzen auf innere Spannung und bedienen diese so geschickt, dass die Gemütszustände der Zuschauenden ganz ohne Schockerbilder und knallige Effekte zwischen Mitfiebern und frösteligem Grusel wechseln.