Unter dem Titel “Three Horizons” widmet sich der Kunstbau des Münchner Lenbachhauses dem englischen Landschaftsmaler William Turner. Präsentiert werden knapp 100 Werke. Nicht alle stießen stets nur auf Begeisterung.
In William Turners Bildern entfaltet die Farbe eine bis dahin nie gesehene Freiheit, mit der er die Zeitgenossen verblüffte und oft auch provozierte. Deshalb gilt der Maler bis heute als Erneuerer und Vorreiter der Moderne. Die jüngst eröffnete neue Ausstellung zu Turner (1775-1851) im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses geht unter dem Titel “Three Horizons” bis 10. März 2024 der Frage nach, wie sich der Künstler schulte und erfolgreich inszenierte.
Auf der linken Seite des Kunstbaus ist zu sehen, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentierte: mit Werken aus der Royal Academy oder aus seiner privaten Galerie, mit Druckgrafiken, die ihn in ganz Europa bekannt machten, oder in seiner Tätigkeit als Akademie-Professor für Perspektive. In der rechten Hälfte des Saals sind Turners Studien, künstlerische Experimente, Aquarelle und Gemälde zu sehen, die er zu Lebzeiten nicht öffentlich zeigte. Bis heute wird diskutiert, ob einige von ihnen unvollendet geblieben sind oder ob er sie aus anderen Gründen zurückgehalten hat.
Die entdeckungsreiche Schau ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit dem Kapitel “Turner als Ausstellungskünstler”. Mit 15 Jahren durfte er 1790 erstmals auf der Jahresausstellung der Royal Academy Aquarelle präsentieren und war bis zu seinem Lebensende auf fast allen Ausstellungen der Akademie vertreten. Er zeigte hauptsächlich Landschaftsbilder – eine Gattung, die nicht Teil des Lehrplans war und in der künstlerischen Hierarchie weit unter der Historienmalerei stand, die am höchsten eingestuft wurde. Ab 1804 führte Turner – nach Streitigkeiten mit einzelnen Akademiemitgliedern – in seinem Wohnhaus im Zentrum Londons eine Privatgalerie.
Am prägendsten für sein Werk war das Studium der Natur. Kaum ein anderer Künstler reiste zu diesem Zweck so viel und so weit: durch ganz Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, den deutschsprachigen Raum. Vor allem seine Venedig-Bilder waren ein großer Erfolg und verkauften sich rasant. Sie zeichnen sich durch eine zunehmende Unschärfe aus. Zum Teil trug Turner dabei die Farbe mit dem Spachtel auf. Es ist nicht immer klar erkennbar, wo das Wasser endet und das Land beginnt. Auf seiner Rückreise von Venedig im Jahr 1840 kam Turner auch in Regensburg vorbei und hielt den Bau der Walhalla in einem Aquarell fest.
Turner interessierte sich für Motive, die über den Publikumsgeschmack seiner Zeit hinausgingen: raue Landschaften, Themsebilder, die er direkt auf einem Boot malte oder, indem er die Ölfarbe auf hell grundierte Leinwände setzte und einen ähnlich “durchscheinenden” Effekt erzielte wie in seinen Aquarellen – ein wichtiger Schritt auf seinem Weg, ein “Maler des Lichts” zu werden.
30 Jahre lang, von 1807 bis 1837, war Turner Professor für Perspektive an der Londoner Royal Academy. Zur Veranschaulichung seiner Vorlesungsinhalte schuf er großformatige Zeichnungen, von denen sich rund 100 Blatt erhalten haben. Sie reichen von einfachen Diagrammen bis zu detailliert ausgeführten Aquarellen. In seinen Vorlesungen thematisierte er auch Beobachtungen zur Atmosphäre und Luftperspektive – gab aber auch zu, dass man für gewisse malerische Effekte die Regeln ab und an ignorieren müsse.
Im 19. Jahrhundert prägte Großbritannien vor allem die industrielle Revolution. Und so zeigen Turners frühe Bilder vom Meer noch Segelschiffe, in seinen späteren sieht man dann Dampfschiffe in den Häfen. In seinen letzten Lebensjahren schuf Turner ohne Rücksicht auf sein Publikum Gemälde, die mit allen Sehgewohnheiten der Zeit brachen.
Um “Abstraktion”, ein Kunstbegriff aus dem 20. Jahrhundert, ging es dem Künstler aber sicher nicht. Er konzentrierte sich vielmehr auf das, was ihn zeit seines Lebens fasziniert hatte: das Licht, das er in diesen Bildern als Sonne selbst zum Bildthema machte. Mit seinem Spätwerk stieß Turner beim zeitgenössischen Publikum auf Unverständnis. In den nachfolgenden Generationen aber fand es große Bewunderung – die bis heute unvermindert anhält.