Schon mal von den “Spielen der kleinen Staaten von Europa” gehört? Wenn nicht, dann wird es höchste Zeit, das zu ändern. In Andorra startet am Montag wieder die Olympiade der etwas anderen Art.
Die Fahrt mit dem Reisebus von Liechtenstein nach Andorra dauert ungefähr 15 Stunden. Sie beginnt in den Alpen, geht durch das südöstliche Frankreich und endet an der Grenze zu Spanien in den Pyrenäen – auf gut 1.000 Metern. Gleich zwei Busse haben am Samstag diese Distanz bewältigt. In ihnen saßen 50 Spitzensportler und 30 Trainer, Funktionäre, Physiotherapeuten und Teamärzte. “Es war wie eine Klassenfahrt”, sagt Finlay Sky Davey. Der Liechtensteiner mit britischen Wurzeln ist Rugby-Nationalspieler seines Landes. Er und viele seiner Mitreisenden erfüllen sich einen Lebenstraum: einmal an Olympischen Spielen teilnehmen. Genauer gesagt, an einer Minitatur-Ausgabe der Spiele.
In Andorra starten am Montag die “Spiele der kleinen Staaten von Europa”, eine sechstägige Veranstaltung unter dem Dach des Europäischen Olympischen Komitees. Teilnahmen dürfen Sportler aus den Staaten, die weniger als eine Million Einwohner haben. Neben Liechtenstein und Gastgeberland Andorra sind das: Luxemburg, San Marino, Monaco, Island, Montenegro, Zypern und Malta, das 2023 Gastgeber der Spiele war. Seit 1985 gibt es den Wettbewerb der Kleinstaaten – von den großen Ländern Europas nahezu unbemerkt.
Auch der Vatikanstaat erfüllt mit seinen knapp 800 Einwohnern eigentlich die Teilnahme-Voraussetzungen. “Er hat aber kein eigenes Nationales Olympisches Komitee, das ist neben der Einwohnerzahl die Bedingung”, sagt Clàudia Espot aus dem Organisations-Team der Spiele in Andorra. Zur Eröffnung im Nationalstadion der Hauptstadt Andorra la Vella wird auch eines der beiden Staatsoberhäupter von Andorra erwartet: der Bischof des spanischen Bistums Urgell, Joan Enric Vives. Er bekleidet gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten das höchste Amt Andorras. Eine Tradition, die auf das 13. Jahrhundert zurückgeht.
Das Land an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich steht seit Monaten ganz im Zeichen der Kleinstaatenspiele. Für fast eine Million Euro ließ der 80.000-Einwohner-Staat, der kein EU-Mitglied ist, aber den Euro als Zahlungsmittel hat, seine Sportstätten aufrüsten. Die Bürger stimmten über den Namen für das Maskottchen “Valiret” ab. Die Spitze der olympischen Fackel wurde der Silhouette des Comapedrosa nachempfunden, des mit fast 3.000 Metern höchsten Gipfels von Andorra. “Sie ist damit auch ein Symbol für Leistung und Anstrengung”, erklärte Alain Cabanes, Staatssekretär für Jugend und Sport, bei der Vorstellung.
Weil es kein Olympisches Dorf gibt, übernachten die 1.100 Athleten in Hotels zwischen der Hauptstadt Andorra La Vella und dem 15 Minuten entfernten Escaldes-Engordany. “Treffpunkt für alle ist der große Speisesaal mit angeschlossener Athleten-Lounge”, sagt Espot. Für Rugby-Spieler Davey aus Liechtenstein ist es die zweite Teilnahme nach 2011, damals noch für das Squash-Team. Diesmal setzte er alles daran, dass es das Liechtensteiner Rugby-Team zu den Spielen schaffte, auch um den Sport in seinem Land populärer zu machen.
Ein Olympia-Team zu formen, erschien jedoch zunächst unmöglich: Das Fürstentum hat genau eine Rugby-Mannschaft, die auch noch zu großen Teilen aus Spielern mit ausländischen Pässen besteht und in der deutschen Bayern-Liga spielt. Per Instagram suchte man neue Mitglieder für die Mannschaft. “Wir haben zwei neue Spieler gefunden und konnten einige Ehemalige reaktivieren”, so die Verantwortlichen. Nach einem Qualifikations-Turnier in Deutschland stand fest: Liechtensteins Rugby-Team durfte nach Andorra.
Genau wie der 25-jährige Francesco Sansovini aus San Marino. Bei den letzten Kleinstaatenspielen gewann der Sprinter das 100-Meter-Finale mit 10,41 Sekunden. Bei den großen Olympischen Spielen hätte es mit dieser Zeit nicht einmal fürs Halbfinale gereicht. Aber genau das, sagt der Leichtathlet aus der 30.000-Einwohner-Enklave in Oberitalien, mache den Charme der Spiele aus. “Für mich sind sie viel mehr als nur ein Wettbewerb: Sie sind eine Gelegenheit, mich mit hochrangigen Athleten zu messen – in einem olympischen Umfeld.”
Luxemburg schickt 166 Athleten in sechs Bussen in die Pyrenäen, darunter die erst 17-jährige Hürdenläuferin Yaara Puraye. Die Schülerin hofft, dass sie sich in Andorra auch für die U20-Europameisterschaften im August qualifizieren kann. Ob es für eine Medaille reicht? “Wir werden sehen.” Sie freue sich vor allem auf die Gemeinschaft der Sportler. “Für die Laufbahn vieler Athleten ist es wichtig, die Kleinstaatenspiele als Zwischenstation zu nutzen. Vor allem, weil dort ein höheres Niveau auf sie wartet, als sie das aus Luxemburg kennen”, sagt Michel Knepper, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (COSL).
Andorra, flächenmäßig nur etwas größer als Köln, ist zum dritten Mal Gastgeber der Kleinstaatenspiele. Mit dem Ansturm von Gästen kann das Zollparadies in den Pyrenäen umgehen. Vier Millionen Übernachtungsgäste zählt Andorra pro Jahr – die allermeisten kommen, um Ski zu fahren. Bei den Kleinstaatenspielen stehen Leichtathletik, Schwimmen, Volleyball oder Tischtennis im Mittelpunkt, insgesamt werden Wettbewerbe in 18 Sportarten ausgetragen.