Ich gestehe es frei: Heiligabend ohne „O du fröhliche“ – das geht gar nicht. Am besten ist die letzte Strophe: „Himmlische Heere jauchzen dir Ehre“. Wenn die Orgel alle Register zieht oder die Bläser alles geben, was ihre Instrumente erlauben – dann kann es Weihnachten werden.
In fast sechs Lebensjahrzehnten habe ich an Predigten an Heiligabend so gut wie alles gehört, was man sich denken kann. Da erwarte ich nicht mehr viel. Jedenfalls nicht mehr viel Neues. Aber die Musik – sie erhebt meine Seele. Jedes Jahr wieder. Mögen die Lieder noch so oft gesungen worden sein und mögen manche Neunmalklugen noch so penetrant die vermeintlich oberflächliche Stimmungsmache kritisieren.
Die Orgel ist die Leiter zum Himmel, sagte kürzlich ein Orgelbauer, als die Orgelbaukunst in den Rang des Weltkulturerbes erhoben wurde. Ich würde noch den Gesang ergänzen – ganz gleich ob im Chor oder in der Gemeinde – und die Posaunenchöre. Wie arm wäre unsere Kirche ohne das alles.
Wie arm wäre ich. Ganz besonders an Weihnachten, das für mich ohne Musik nicht vorstellbar ist. Im Elternhaus gab es keinen einzigen Heiligabend, ohne dass wir musiziert hätten (wenn auch in einem gewissen Alter manchmal mit Unwillen). Und so ist das bis heute.
„Die Alten schauen himmelwärts“, diese Zeile aus dem Lied „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ liebte mein Vater, als er älter wurde, ganz besonders. Nun ist er im Himmel, genau wie meine Mutter. Aber etwas haben sie uns, die wir mittlerweile beginnen, himmelwärts zu schauen, hinterlassen: die wunderbare irdische Erfahrung, dass Posaunen und Trompeten, Orgeln und Flöten manchmal viel mehr sagen als tausend Worte.
Annemarie Heibrock
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