Sepsis tötet hierzulande mehr Menschen als in Skandinavien oder der Schweiz; die Sterberate bleibt seit 30 Jahren hoch. Mediziner sehen Deutschland in einem Reformstau – und warnen vor massiven Langzeitfolgen.
Fast ein Fünftel der jährlichen Todesfälle hängt mit einer Blutvergiftung zusammen: Zu diesem Wert kommen Fachmediziner, die neue Sterblichkeitszahlen ausgewertet haben. Die Todesrate durch eine solche Sepsis sei in Ländern wie Australien, Norwegen, Finnland, der Schweiz oder Dänemark “deutlich niedriger”, kritisieren Konrad Reinhard, Stefan H.E. Kaufmann und Andreas Weyland in einem Gastbeitrag in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwoch).
Die Experten, die für die Deutsche Sepsis-Stiftung tätig sind, nennen konkrete Beispiele: “Die Wahrscheinlichkeit, an einer Sepsis aufgrund eines Harnwegsinfekts zu versterben, ist in Deutschland etwa 30 Prozent höher als in der Schweiz. Bei einer durch eine Infektion im Bauchraum ausgelösten Sepsis beträgt der Unterschied sogar 47 Prozent.” Jedes Jahr sind demnach eine halbe Millionen Menschen in Deutschland von Sepsis betroffen.
Die Sepsis-Sterberate stagniere hierzulande seit etwa 30 Jahren – und das auf hohem Niveau. Zugleich sei sie in vergleichbaren Ländern zurückgegangen. Dabei habe Deutschland viele internationale Bemühungen im Kampf gegen die Sepsis vorangetrieben – “eine Umsetzung dieser Forderungen gibt es in Deutschland jedoch nach wie vor nicht.”
Dies habe enorme Folgen auch für die Volkswirtschaft, mahnen Reinhard, Kaufmann und Weyland. Etwa drei Viertel derjenigen, die in Deutschland jährlich eine Sepsis überleben, hätten mit Langzeitfolgen zu kämpfen; ein Drittel dieser insgesamt 360.000 Überlebenden versterbe im ersten Jahr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Das bedeute, dass “ständig etwa 1,08 Millionen Menschen von erheblichen Langzeitfolgen infolge einer Sepsis betroffen sind. Dieses Post-Sepsis-Syndrom bedeutet oft Berufsunfähigkeit, eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität, eine dauerhafte Pflegebedürftigkeit und darüber hinaus auch erhebliche Auswirkungen für die Angehörigen.”
In der Coronazeit sei deutlich geworden, dass Deutschland “kein Ressourcen- und Wissensproblem für den Kampf gegen Infektionskrankheiten hat”, so die Autoren. “Vielmehr bestehen grundlegende Struktur- und Steuerungsdefizite unseres Gesundheitssystems”. Daher müssten auch in diesem Zusammenhang konkrete Maßnahmen zur Aufklärung und Prävention umgesetzt werden.