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„Männer gestehen sich psychische Erkrankungen oft nicht ein“

Anne Maria Möller-Leimkühler ist Sozialwissenschaftlerin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Mitautorin der Männergesundheitsberichte 2010 und 2013. Mit Michael Ruffert spricht sie über Vorbehalte der Männer gegenüber der Psychotherapie – und warum sie sich in letzter Zeit doch häufiger trauen, in Behandlung zu gehen.

Männer sind genauso häufig von psychischen Erkrankungen betroffen wie Frauen, aber in der ambulanten Psychotherapie sind nur rund ein Drittel der Patienten Männer. Woran liegt das?
Gesundheit, insbesondere psychische Gesundheit, ist bei vielen Männern weiblich besetzt. Frauen, die leiden, suchen Hilfe; Männer, die leiden, funktionieren so lange klaglos, bis, etwas sarkastisch gesprochen, sie tot umfallen oder Suizid begehen. Männer gestehen sich eine eigene psychische Erkrankung nicht so leicht ein, haben Angst davor, stigmatisiert zu werden und lehnen eine Psychotherapie oft ab. Das ist für sie dann bloß quatschen.  
Dazu kommt: Ärzte erkennen psychische Probleme bei ihren männlichen Patienten seltener und überweisen sie nicht zu einem Therapeuten. Depressionen werden bei Männern signifikant seltener diagnostiziert und behandelt als bei Frauen, auch wenn die Symptomatik völlig identisch ist. Inzwischen deutet sich aber ein Wandel an: Männer trauen sich häufiger zum Therapeuten. Eine Ursache dafür ist sicherlich die gesellschaftliche Akzeptanz des „Burn-out“, dem – anders als der Depression – kein Stigma anhaftet. Nach aktuellen Zahlen der kassenärztlichen Bundesvereinigung ist die Inanspruchnahme von Psychotherapie in den Jahren 2009 bis 2014 bei Männern um 20 Prozent gestiegen, bei Frauen um zwölf Prozent.

Gehen Therapeuten ausreichend auf männliche Bedürfnisse ein?
Bislang gibt es vor allem zahlreiche Therapieangebote, die auf Frauen zugeschnitten sind. Selbst die Suchttherapie, bei der Männer überrepräsentiert sind, weist in der Regel keinen männerspezifischen Ansatz auf. Wenn von einer geschlechterspezifischen Suchttherapie die Rede ist, sind immer noch eher frauengerechte Angebote gemeint.

Was müssten Therapeuten also tun, um Männer besser anzusprechen?
Zunächst einmal sind männliche Klienten für Psychotherapeuten nicht selten eine Herausforderung. Sie sind weniger motiviert und kritischer als Frauen, wollen die Kontrolle behalten, können Gefühle kaum wahrnehmen und über diese sprechen, wollen lieber „machen“ statt „quatschen“, sind ungeduldig und erwarten schnelle Problemlösungen. Damit muss der Therapeut oder die Therapeutin umgehen – Männer brauchen aber keine spezielle Psychotherapie, sondern einen männerspezifischen Ansatz, der mit wertschätzender Konfrontation und männlicher Solidarität arbeitet.