Acht Millionen Menschen sind aus Venezuela in den vergangenen Jahren geflüchtet, ein Viertel der Bevölkerung. Ob der Massenexodus anhält, darüber entscheidet am Sonntag die Präsidentenwahl.
Selbst altgediente Weggefährten und Unterstützer schicken eine eindeutige Botschaft an Nicolas Maduro: “Wenn Du gewinnst, bleibst Du. Wenn Du verlierst, musst Du gehen”, sagte Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva seinem Amtskollegen in dieser Woche. Das sei in einer Demokratie so. Auch Argentiniens ehemaliger Präsident Alberto Fernandez fordert Maduro auf, im Falle einer Niederlage das Feld zu räumen.
Unmittelbar vor den Wahlen in Venezuela wird es politisch einsamer um den sozialistischen Machthaber in Caracas. Vertreter der demokratischen Linken gehen zunehmend auf Distanz, weil sie spüren, dass Maduro längst zu einer Belastung für ihr politisches Projekt geworden ist. Maduro reagiert auf die Kommentare mit Spott. Als sich Lula da Silva besorgt über eine indirekte “Blutbad”-Drohung Maduros im Falle einer Wahlniederlage äußerte, ließ der Venezolaner wissen, Schreckhafte sollten doch bitte zur Beruhigung Kamillentee trinken.
Dass Maduros “Blutbad”-Ankündigung keine leere Drohung ist, dass zeigen die Berichte des UN-Menschenrechtskommissariats sowie von Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International, aber auch Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Vorwürfe lauten: außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, Massenvertreibung. Maduros Machtapparat stützt sich auch auf bewaffnete regierungsnahe paramilitärische Organisationen und Milizen, die den Auftrag haben “die Revolution zu verteidigen”. Ob das auch für eine Wahlniederlage gilt, steht als Frage im Raum.
Oppositionskandidat Edmundo Gonzalez (74) führt die Umfragen klar an. Er war einst Diplomat unter dem anders als Maduro beim Volk deutlich populäreren Revolutionsführer Hugo Chavez, der 2013 starb und Maduro noch auf dem Krankenbett zum Nachfolger ausrief. Zuvor hatte eine regierungsnahe Justiz allen denkbaren Oppositionskandidaten die Kandidatur untersagt. Mit dem besonnenen Gonzalez konnte sich aber auch die enthauptete Opposition anfreunden und stellte sich hinter den Ex-Botschafter.
Seit Maduro regiert, ging es mit Venezuela steil bergab: Das Bruttoinlandsprodukt implodierte, die Ölproduktion im ölreichsten Land brach zusammen. Die Folge war eine krachende Wahlniederlage von Maduros Sozialisten bei den Parlamentswahlen 2015. Doch statt das Ergebnis zu akzeptieren, löste Maduro das Parlament einfach auf und ersetzte es durch eine verfassunggebende Versammlung mit linientreuen Gefolgsleuten. Sozialproteste ließ er niederprügeln und niederschießen.
Damals spürten die Venezolaner, dass auf demokratischem Wege eine zunehmend autokratische Regierung nicht mehr abzuschaffen sei und packten die Koffer. Inzwischen sind acht Millionen Menschen geflohen, ein Viertel der Bevölkerung. Die Nichtanerkennung der Wahlniederlage 2015 sorgt dafür, dass Lula da Silva oder Fernandez auch jetzt mit Sorge nach Caracas schauen. Die zentrale Frage ist, ob Maduro diesmal eine Niederlage akzeptieren würde, die gleichbedeutend wäre mit dem Ende seiner persönliche Karriere.
“Gonzalez ist nur auf Druck der Nachbarländer als Kandidat der Opposition zugelassen worden”, sagt Venezuela-Experte Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Brasilien und Kolumbien – wo heute schon viele der insgesamt acht Millionen Venezolaner leben, die vor dem Regime geflüchtet sind – würden einen erneuten Exodus befürchten. “Drei bis vier Millionen Menschen sitzen in Venezuela auf gepackten Koffern”, sagt Wieland. Zuletzt verschärfte Maduro erneut die Repression, ließ Nachrichtenportale schließen und Mitarbeiter der Oppositionsparteien ausschließen. Zudem wurden nahezu alle der rund sechs Millionen potenziell wahlberechtigten Exil-Venezolaner von den Wahlen ausgeschlossen – die wegen Maduro das Land verlassen hatte.