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Luthers Platz im Sündenpfuhl

Sechs Jahre brauchte die römische Stadtverwaltung, jetzt hat sie entschieden: Im Herzen der Welthauptstadt des Katholizismus wird es ein halbes Jahrtausend nach Beginn der Reformation einen Martin-Luther-Platz geben

Der Park des Colle Oppio ist ein römischer Flecken Grün in unmittelbarer Nachbarschaft des Kolosseums. Einen schönen Blick hat man von dort hinunter auf das gewaltige Amphitheater und die Kaiserforen. Die Domus Aurea, der letzte Rest von Neros größenwahnsinnigem Palast, steht hier und ganz in der Nähe auch die Kirche San Pietro in Vincoli mit dem berühmten Michelangelo-Moses (der mit Hörnern auf dem Haupt).

Hier also soll in Kürze eine „Piazza Martin Lutero“ an jenen deutschen Theologen erinnern, der die Ewige Stadt einen „Sündenpfuhl“ nannte! Allerdings erst später in seinem Leben, nicht von Anfang an. Die Reformation und Rom, dieses Verhältnis lässt sich auch als Geschichte einer Enttäuschung erzählen. Von der „Sancta Roma“, der heiligen Stadt Rom, zur „Sedes Diaboli“, dem Sitz des Teufels: So wandelte sich Martin Luthers persönliche Bewertung.
„Sei gegrüßt, heiliges Rom! Ja wahrhaftig heilig von den heiligen Märtyrern, von deren Blut sie trieft.“ Mit diesen Worten warf sich der künftige Papstfresser Martin Luther noch im Januar 1511 auf regennassen italienischen Boden, als er die Ewige Stadt aus der Ferne erblickte. Zwei Monate entbehrungsreicher Pilgerwanderung über die winterlichen Alpen lagen da hinter ihm.
An gutem Willen, sich zutiefst ergreifen zu lassen, mangelte es dem frommen Augustinermönch jedenfalls nicht. Mit einem Mitbruder war er unterwegs in die Zentrale, weil es zu Hause im Orden gerade Zoff gab.
In Rom spulte Luther das volle traditionelle Pilgerprogramm ab, das Ablass von den Sünden versprach: „Zu Rom, da ich auch so ein toller Heiliger war, lief ich durch alle Kirchen und Kluften, glaubte alles, was daselbst erlogen und erstunken ist. Ich habe in Rom auch wohl eine Messe oder zehn gehalten, und es tat mir damals fast leid, dass mein Vater und meine Mutter noch lebten, denn ich hätte sie gerne mit meinen Messen und anderen trefflichen Werken und Gebeten aus dem Fegfeuer erlöst. Aber es war ein zu großes Gedränge, und ich konnte nicht hinzukommen; da aß ich einen gesalzenen Hering dafür.“
So spöttisch äußerte sich Luther später auch über die „Scala Sancta“, die „Heilige Stiege“ im Lateran, deren 28 Treppenstufen man nach alter Tradition nur im Knien betreten darf. Etwa ein Jahr vor seinem Tod erinnerte sich der Reformator: „So wollte ich in Rom meinen Großvater aus dem Fegfeuer erlösen, ging die Treppe hinauf, betete auf jeder Stufe ein Vaterunser … Als ich aber an die Spitze gelangte, kam mir der Gedanke: Wer weiß, ob es wahr ist?“

Genervt vom Wetter und den italienischen Pfaffen

Historiker bezweifeln allerdings, dass der junge Sachse angesichts des sündhaften Renaissance-Trubels in der kirchlichen Welthauptstadt bereits damals eine reformatorische Erweckung erfuhr. Luthers kritische Kommentare zu seinen Romerlebnissen sind meist in den Tischreden überliefert, deren Aufzeichnung zwanzig Jahre nach der Reise überhaupt erst einsetzte.
Sicher ist, dass Martin Luther Rom in einem gewaltigen baulichen Umbruch erlebte. Zwischen mittelalterlichen Gassen und neuen Renaissance-Prachtachsen sei die Stadt, sagte Luther später, „geradezu ein Kadaver ihrer früheren Denkmäler …, dass die jetzigen Häuser da stehen, wo vorher die Dächer gewesen sind, so tief liegt der Schutt, dass leicht zum Tiber und zur Engelsbrücke hin sichtbar wird, dass zwei Landsknechtspieße hoch der Schutt liegt“.
Luther sah noch mit eigenen Augen die antike Alt-Sankt-Peter-Kirche, die man gerade abtrug, und dahinter im Bau die Kuppel der heutigen Peterskirche. Die für das riesige Projekt nötigen Summen beflügelten schon damals die Ablassexzesse, die im Verlauf der Reformation eine wesentliche Rolle spielen sollten.
Das nasskalt-winterliche Rom hat Luther genervt, die Italiener, die ihm unsympathisch waren, auch. „Ich bin nicht lange in Rom gewesen, habe aber dort viele Messen gehalten und auch viele Messen halten sehen; es graut mir, wenn ich daran denke. Da hörte ich die Höflinge bei Tisch lachen und prahlen, wie etliche Messe hielten und über Brot und Wein sprächen: Brot bist du, Brot bleibst du – und dann Brot und Wein hochhielten. Nun, ich war ein junger und recht frommer Mönch, dem solche Worte wehtaten. Und überdies ekelte mir sehr, wie sie so rips raps die Messe halten konnten, als trieben sie ein Gaukelspiel. Denn ehe ich zum Evangelium [zu dessen Verlesung bei der Messe] kam, hatte mein Nebenpfaffe schon eine Messe zu Ende gebracht und schrie mir zu: Passa, Passa, immer weg, mach Schluss.“
Und die Bilanz seiner Reise? Im Nachhinein hielt er sie nicht nur in der Ordenssache, wegen der er geschickt worden war, sondern auch spirituell für einen Fehlschlag: „Wer nach Rom kam und brachte Geld, der kriegte Vergebung der Sünden. Ich, als ein Narr, trug auch Zwiebeln nach Rom und brachte Knoblauch wieder.“
Historisch wirklich fix ist trotzdem wenig zu Luthers Romreise. Die Reiseroute besteht größtenteils aus Mutmaßungen, und man weiß nicht, ob Luther im Augustinerkloster Santa Maria del Popolo oder im Sant’Agostino wohnte. Neuere Forschungen stellen sogar die Datierung Winter 1510/11 infrage und behaupten, Luther sei erst ein Jahr später in Rom gewesen.
Wie auch immer Luthers Romreise zu bewerten ist: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (CELI) und die Siebten-Tags-Adventisten nahmen vor sechs Jahren das Jubiläum zum Anlass, im römischen Magistrat den Antrag zu stellen, man möge in Rom doch eine Straße oder einen Platz nach dem Reformator und Romreisenden benennen.

Der Martin-Luther-Platz: wichtiges Symbol

Mit Erfolg: Auch wenn mit dem Platz im Colle-Oppio-Park nun sichergestellt ist, dass es Martin Luther auch in Zukunft nicht als römische Postadresse gibt – die Platzbenennung ist ein kirchengeschichtlicher Meilenstein, finden Italiens Lutheraner: „Der Romaufenthalt Martin Luthers ist Teil der Reformationsgeschichte und damit Teil der europäischen Geschichte“, sagt CELI-Dekan Heiner Bludau. „Aus Sicht der Kirchen ist es ein epochaler Schritt von hoher symbolischer Bedeutung, in Rom einen Platz nach dem großen Reformator zu benennen. Es ist auch ein Schritt, der das Erreichte im Prozess der europäischen Einigung widerspiegelt. Für beides bin ich sehr dankbar.“