Während draußen eisiger Wind dicke Winterjacken und eng anliegende Schals nötig macht, herrscht in der Wiesbadener Teestube reges Treiben: „Wir haben ungefähr 90 Personen, die zum Mittagessen zu uns kommen“, sagt Matthias Röhrig, Leiter der Einrichtung. Als „Anlaufstelle für wohnungslose und soziale ausgegrenzte Menschen“ ist die tägliche kostenlose warme Mahlzeit aber nur eines von vielen Angeboten der Teestube, die sich das ganze Jahr über um ihre Besucher kümmert. „Gerade jetzt im Winter ist der Aufenthaltsbereich das Wichtigste“, betont der Leiter.
Neben der Grundversorgung – Toilette, Dusche, Waschmaschine – hilft die Einrichtung unter anderem mit ihrer Kleiderkammer und medizinischen Sprechstunden in Zusammenarbeit mit Zahn- und Allgemeinärzten. „Unsere Sozialarbeiter haben außerdem feste Anlaufstellen in der Stadt, und wir haben eine Notübernachtung mit zwölf Plätzen hier im Haus“, erklärt Röhrig. Mittlerweile stehen zudem fünf „Minihäuschen“ ganzjährig auf dem Gelände von Kirchengemeinden zur Verfügung. Wohnungslose Menschen können diese jeweils für sechs Monate nutzen, wobei sie „sozialarbeiterisch sehr intensiv betreut werden“, sagt Röhrig.
Spezielle Hilfsangebote im Winter
In Wiesbaden gebe es für jeden eine Möglichkeit, im Winter unterzukommen. Angebote wie das Männerwohnheim der Heilsarmee seien mit vollbesetzten Zimmern und ihren Regeln aber nicht für alle eine Option. „Viele halten die Nähe nicht aus“, sagt Röhrig. Wie sehr sich die Bedingungen für wohnungslose Menschen zur kalten Jahreszeit noch weiter erschweren, wird durch die teils fröhliche Stimmung während des Mittagessens in der Teestube fast verdeckt, lässt sich aber erahnen.
Einer der Gäste, der 74-jährige Rentner Helmut, erzählt, dass er „dringend Lust auf eigene vier Wände“ habe. Er lebt laut eigener Aussage abwechselnd in zwei Wohngemeinschaften und kommt seit drei Jahren zum Essen in die Teestube. Reyhan wiederum erzählt, sie sei erst vor Kurzem obdachlos geworden und komme nun zunächst in einem Hotel unter. Neben ihr steht Icke, der, so sagt er, im Rahmen des betreuten Wohnens ein Dach über dem Kopf hat, das er mit Menschen teile, die sonst auf der Straße übernachten müssten.
Auch in anderen hessischen Städten gibt es im Winter Hilfsangebote für Wohnungslose. „Wir sind von Oktober bis Mai jede Nacht von 21 bis fünf Uhr unterwegs und versorgen Menschen mit Schlafsäcken, Decken, Isomatten, heißem Tee – oder fahren sie in eine geschützte Unterkunft“, sagt Daniel Schneider, stellvertretender Leiter des Kältebusses in Frankfurt am Main. Die Aufgabe dieses Angebots: „Die Überlebenssicherung von obdachlos lebenden Menschen“.
Vor allem Decken seien beliebt, sagt Schneider. „Viele Menschen auf der Straße haben gerne etwas, das man zum Beispiel in einer Gefahrensituation schnell von sich werfen kann.“ Ein „harter Kern“ von rund 80 Personen im Stadtgebiet bleibe auch bei den widrigsten Umständen noch draußen. Andere würden sich bei der Kälte in U-Bahn-Stationen zurückziehen.
Armut hat merklich zugenommen
Beim Verein Soziale Hilfe in Kassel spürt man, dass Armut zunimmt. In die Tagesaufenthaltsstätte „Panama“ kommen teils 100 Personen zum Mittagessen, darunter Obdachlose, Rentner und Menschen, „die in sehr prekären Wohnverhältnissen leben, wo man den Strom nicht mehr zahlen kann oder bei der Heizung sparen muss“, sagt Michaela Rohde, Sprecherin des Vereins. In der Winterzeit stellt der Verein, meist in der Nähe von Kirchen, insgesamt sechs beheizte Notschlafcontainer auf, um bei der Kälte weitere Abhilfe zu schaffen.
Matthias Röhrig von der Teestube kann viele Geschichten von schweren Schicksalen erzählen. „Aus dem näheren Kreis der Teestube sterben zwischen 15 und 20 Personen im Jahr – und das sind nur die, von denen wir wissen“, sagt der Einrichtungsleiter. Immer im November wird bei einem Gottesdienst mit einem katholischen und einem evangelischen Pfarrer an die Verstorbenen erinnert. „Das ist ein ganz wichtiges Symbol für unsere Besucher“, sagt Röhrig. „Dass sie nicht vergessen sind.“ Sein Appell: „Wenn man jemanden hilflos irgendwo liegen sieht, sollte man die Person ansprechen. Und lieber einmal zu viel als einmal zu wenig den Krankenwagen rufen.“