Was ist ein Gebet? Die meisten Menschen würden wohl sagen: ein Gespräch zwischen Gott und mir. Ein Dank an den Schöpfer, der mich beschenkt. Eine Bitte an den, der mein Leben in seiner Hand hält. Manchmal ein verzweifeltes Weinen, manchmal ein überschwängliches Loben. Auf jeden Fall doch eine recht intime Sache zwischen Gott und mir. Und doch bringen Menschen ihre Gebete offenbar gern in die Öffentlichkeit.
Da ist zum Beispiel eine offene Kirche. Dämmriges Licht durch bunte Glasfenster, wohltuende Ruhe. Am Ausgang liegt ein großes Buch; „Gebete“ steht auf dem Einband. Viele von denen, die in die Kirche kommen, bleiben hier einen Moment stehen. Manchmal nimmt jemand den Stift zur Hand und schreibt – einen Satz, zwei Sätze oder einen halben Roman. Andere blättern nur, lesen, lächeln oder nicken für sich.
Szenenwechsel: Ein Zimmer, auf dem Schreibtisch ein aufgeklappter Laptop. Jemand tippt einen Text, klickt mit der Maus, und sein Gebet erscheint auf einer Gebetsseite im Internet, für Millionen von Menschen sichtbar. Auch hier werden irgendwo auf der Welt einige mitlesen, lächeln oder nicken.
So verschieden die beiden Situationen auch sind – in beiden machen Menschen ihre Gespräche mit Gott öffentlich und vertrauen sie damit anderen Menschen an. Was sie wohl dazu bewegt?
Vielleicht hilft es ihnen einfach, eine Art Forum zu haben, um ihre Gebete zu formulieren. Vielleicht spielt auch der Wunsch mit, dass andere sich beim Lesen wiederfinden mit ihren Bitten, Fragen und Zweifeln, mit ihrem Grund für Lob und Dank. Das Gebet eines Fremden kann ja ansprechen, was die Leserin oder den Leser selbst beschäftigt. Womöglich hilft es ihnen, eigene Worte zu finden. Oder es wird zum Anlass, dieselbe Frage, Hoffnung oder Dankbarkeit im eigenen Leben zu entdecken und sie vor Gott zu bringen.
Es mag auch sein, dass die, die ihre Gebete in Gebetsbücher oder Internetforen schreiben, mit ihren Fragen, Zweifeln oder Bitten nicht allein bleiben möchten und darauf hoffen, dass andere einstimmen in den Dank oder die Bitte. Diese Aufforderung zum Mitbeten findet sich ja schon in der Bibel. „Preiset mit mir den Herrn und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen“, heißt es etwa in Psalm 34.
Gemeinsames Gebet gehörte ebenso zum Synagogen-Gottesdienst wie zu den Gottesdiensten der Christinnen und Christen. Und das nicht von ungefähr: Als Gemeinschaft vor Gott zu treten und im Gebet füreinander einzustehen, das verbindet und stärkt und ist besonders dann hilfreich, wenn eigene Worte fehlen oder Zweifel den Sinn des Betens infrage stellen. Die Gemeinschaft der Betenden trägt dann.
Übrigens: Wer sicher sein möchte, dass jemand mitbetet, findet Dienste wie www.amen.de im Internet. Hier gibt man ein Anliegen ein und bekommt eine Rückmeldung, wenn ein anderer es im Gebet aufgenommen hat. Vielleicht nicht jedermanns Sache, aber erfolgreich: Gerade wurde dort das zweimillionste Gebet vermerkt.
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Das persönliche Gespräch mit Gott ist eigentlich eine intime Sache. Trotzdem bringen Menschen ihre Gebete in die Öffentlichkeit, etwa im Internet. Was bewegt sie dazu?