UK 3/2019, Gedenkjahr 2019 (Seite 11: „Von Universalgenies und Schurken“)
Eine saloppe Ausdrucksweise gehört natürlich auch in eine Kirchenzeitung – nur, wenn ein Absatz Leid, Gewalt, Tod und Krieg zum Inhalt hat, wirkt sie sehr schnell schnodderig, unangemessen.
„… rückt die größte … in den Blick“: Ein Blick und der Zweite Weltkrieg gehen gar nicht zusammen; Zeit- und Raumumfang lassen solche Verharmlosung nicht zu. Weltweit gab es nur wenige Länder, die nicht gelitten haben, nicht wenige zeitlich weit über das Kriegsende hinaus.
„Am 1. September … startete der Zweite Weltkrieg“: Der Weltkrieg war absolut kein sportliches Ereignis mit Startlinie, Arena und Zielpunkt. Zig Millionen Menschen verloren Hab und Gut, ihr Zuhause, Gesundheit, ihr Leben. Noch heute gibt es in den Ruhrgebietsstädten Häuser, denen anzusehen ist, dass sie von Bomben getroffen, dass ihre ehemaligen Nachbarhäuser zerstört wurden. Unter manchem freien Platz, jetzt als Parkplatz genutzt, liegen Fundamente ehemaliger Wohnhäuser.
„…am 6. Juni 1944… Ein großer Schritt hin zur Niederlage Hitler-Deutschlands“: Meine Großmutter wurde ausgebombt, sie überlebte und auch eine Nachbarin, weil sie uns besuchte. Alle anderen Hausbewohner, auch die Kinder, eines dreistöckigen Mietshauses wurden im Keller verschüttet und getötet. Die Großmutter hatte drei Söhne im Krieg, war durch eine Hausdurchsuchung der Gestapo stark belastet – sie alle waren keine Hitlerdeutsche. Dennoch blieb Großmutter bis in die 50er Jahre von den Zuschüssen durch Behörden abhängig, wurde dort nicht selten als lästige Bittstellerin behandelt. Wie Großmutter ging es ungezählt vielen Ausgebombten. Für die unter den Trümmern zu Tode Gekommenen gibt es auf manchen Friedhöfen Gedenksteine.
Der Empfang der Flüchtlinge aus Ostdeutschland oder aus zerstörten Städten gegen Ende des Krieges und in seiner Folge war selten freundlich. Schnorrerei, Unsauberkeit, Diebstahl wurden ihnen unterstellt. Nur wenige Hiesige machten sich klar, was die Geflüchteten an Gewalt, Gefahren, Durst und Hunger hinter sich hatten. Bis heute berichten Betroffene erregt, empört, verletzt über Erfahrungen aus dieser Zeit – die Kinder waren wohl kaum Hitlerdeutsche.
In den 80er Jahren zogen wir in eine Vorstadt mit dörflichem Charakter. Beim ersten Nachbarschaftskaffeetrinken wurde mir flüsternd erklärt, wer von den Anwesenden Flüchtling sei. Bis 2006 erlebte ich bei wöchentlichen Treffen in unserer Gemeinde eine Frau, die als junges Mädchen auf der Flucht mehrfach vergewaltigt wurde. Sie war psychisch so belastet, dass jede ihrer Bewegungen die Krankheit deutlich machte.
Der Zweite Weltkrieg ist vorbei – doch sicher nicht vergangen.
Ruth Rogalla, Bochum
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