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Der Soundtrack der Weihnachtszeit

Kaum beginnt die Weihnachtszeit, sind Weihnachtspopsongs im Radio und in Einkaufshäusern zu hören. Auf Platz 1 der Offiziellen Deutschen Charts befindet sich derzeit die selbsternannte „Queen of Christmas“ Mariah Carey mit ihrem „All I Want for Christmas is You“ gefolgt von „Last Christmas“ von Wham!.

Der Weihnachtsohrwurm „Last Christmas“ polarisiert besonders: Deshalb gibt es seit ein paar Jahren die „Whamaggeddon-Challenge“: Dabei geht es darum, dem Lied „Last Christmas“ möglichst lange zu „entkommen“ und das Lied von 1. bis 24. Dezember nicht zu hören. Das Spiel hat sogar eine eigene Internetseite, die dazu ermuntert, unter „#whamageddon“ zu berichten, wann und wie man aus dem Spiel rausgeflogen ist. Und es zeigt: Es gibt kein Entkommen bei diesem Lied – genauso wie bei „All I Want for Christmas“, für das es ein ähnliches Spiel namens „ApoCareypse“ gibt.

Was die eine nervt, lässt bei dem anderen Weihnachtsgefühle aufkommen. Doch Weihnachtspop als bloßen Kitsch abzutun, greift zu kurz, findet Michael Winklmann, Referent für Programmentwicklung in Studium und Lehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. „Sicher gibt es Weihnachtssongs, die übertrieben rührselig sind und die starke Gefühle beschreiben. Aber der Weihnachtspopkosmos ist riesig. Um es mit dem Musiker Sufjan Stevens zu sagen: von Kirchenliedern bis zu blasphemischen Anti-Weihnachtssongs ist alles dabei. Ein bisschen Kitsch sicher auch“, sagt Winklmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beliebt sei Weihnachtspop, weil Weihnachten ein Fest sei, um das niemand herumkomme: „Irgendwie muss sich jeder positiv oder negativ dazu verhalten. Der riesige Kosmos der Weihnachtspopmusik liefert den Soundtrack dazu.“

Zu einem erfolgreichen Popsong gehöre eine eingängige Melodie sowie weihnachtliche Instrumentierung wie Schellenkränze und Glocken. „Mit Weihnachten selbst muss er gar nicht viel zu tun haben. Das zeigen seit Jahrzehnten die Weihnachtscharts“. In dem Buch „Last Christmas. Weihnachten in der Popmusik“, (Herder-Verlag Freiburg) verweist Winklmann auf eine Untersuchung, die mit Hilfe von Techniken zur Analyse großer Datenmengen feststellte, wie häufig bestimmte Wörter in Weihnachtssongs erklingen. Das am häufigsten vorkommende Wort ist demnach „Christmas“ mit 530 Erwähnungen, gefolgt von „Baby“ (128), „love“ (127) und „happy“ (66). Der Name „Jesus“, dessen Geburt Christinnen und Christen an Weihnachten feiern, liegt in der Liste auf Platz 49.

Das zeigt, dass die allermeisten erfolgreichen Weihnachtssongs vor allem Weihnachten als romantisches, friedliches und nostalgisches „Fest der Liebe“ feiern, das nur noch wenig mit dem Weihnachten der Bibel zu tun hat. So geht es bei dem Lied „Last Christmas“ zum Beispiel um das Ende einer Liebesbeziehung. Doch es gibt auch andere Songs wie „Mary’ s Boy Child“ von Boney M., das sich eng an der Weihnachtsgeschichte der Bibel aus dem Lukas-Evangelium orientiert. Der Song „Star of Wonder“ von Sufjan Stevens wiederum ist ein Lied über den Stern von Bethlehem.

Der amerikanische Gitarrist John Fahey veröffentlichte in den 1960er-Jahren eine Platte mit Weihnachtssongs, die er „The new possibility“ nannte – ein Zitat des evangelischen Theologen Paul Tillich (1886-1965), der von Weihnachten als „neuer Möglichkeit“ spricht. Für Michael Winklmann eine erstaunliche Entdeckung. Er kommt zu dem Fazit: „Weihnachtspop ist eine Mischung aus Weihnachts-Fun, ernsthafter Sinnsuche und Neuinterpretation musikalischer Weihnachtstradition.“ Und wenn man genau hinhört, könne in manch dreiminütigem Popsong die Weihnachtsbotschaft aufscheinen. (00/4099/15.12.2023)