Von Friederike Höhn
„Wir holen das Scheitern aus der Tabuzone und bringen es auf die Bühne“: So beschreibt Paula Nowak, Studienleiterin für Medienpädagogik im Amt für kirchliche Dienste (AKD), das Konzept der „Fuck-Up-Night“. Bei einer solchen Veranstaltung, die ihren Ursprung in der Start-up-Szene hat, erzählen Menschen von ihren Missgeschicken, vom Scheitern und Versagen. Der Begriff „Fuck-Up-Night“ (Nacht des Scheiterns) ist geschützt, deshalb trägt die Veranstaltung von Paula Nowak den Namen „Fuck-Up-Stories-EKBO“ (Scheiter-Geschichten).
Unabhängig voneinander sind im Raum der EKBO in diesem Jahr zwei Initiativen mit unterschiedlichen?Ansätzen entstanden: Während sich das Team rund um Paula Nowak an ein innerkirchliches Publikum wendet, gehen Bertram Schirr, Pfarrer in Berlin-Siemensstadt und Referent der Berliner Generalsuperintendentin, und seine Mitstreitenden gezielt nach außen.
Mehr über das reden, was nicht klappt
Über Fehler sprechen: Das möchte Paula Nowak auch in der Kirche etablieren. „Eine Fehlerkultur gibt es bei uns nicht, über das, was schiefläuft, wird nicht gesprochen.“ Ihre Idee im kirchlichen Raum umzusetzen, fand schnell Unterstützung. Über Instagram formierte sich ein bunt gemischtes Team aus verschiedenen Berufszweigen. Zu acht tüfteln sie seit Mai an der Umsetzung. Eigentlich war zuerst eine „kohlenstoffliche“ Veranstaltung geplant. Doch die digitale Umsetzung, die nun erfolgt, hat auch viel Gutes für sich: „So können wir uns auch über die Grenzen der Landeskirche hinaus, überregional und ökumenisch mischen, das bereichert den Austausch und weitet den Blick“, sagt Nowak. So werden am 6. November fünf Menschen in einer Zoom-Konferenz ihre Geschichten erzählen und sich mit den Teilnehmenden austauschen – interaktiv im geschützten Raum einer digitalen Videokonferenz.
Unterschiedliche Menschen ins Gespräch bringen
In Siemensstadt wiederum geht es um die Vernetzung mit dem Kiez, der immer noch stark vom namensgebenden Unternehmen geprägt ist. „Das Thema Scheitern verbindet Jung und Alt, vom Industrie- und Lagerhallenarbeiter zu den Neuzugezogenen, die in der Forschung und Innovation arbeiten.“ Denn gescheitert ist jede*r schon einmal. Der Austausch darüber bringt die Menschen zusammen – so die Idee, die gemeinsam mit Siemens entstanden ist. „Es soll etwas bleiben, etwas entstehen, vielleicht eine Form von Gemeinde“, erhofft sich Schirr. Dazu planen er und sein ökumenisches Team eine Vor-Ort-Veranstaltung, vermutlich im kommenden Frühjahr. Neben den Geschichten soll es auch interaktive Kunstperformances geben, einen – zum Scheitern verurteilten – Jodelkurs und anschließend natürlich Party und Gespräch.
Das Geld dafür kommt aus dem Innovationsfonds der Landeskirche. Denn die Idee konnte sich als „Dritter Ort“ qualifizieren, dem Ideenwettbewerb der EKBO.
Aus dem ersten gemeinsamen Projekt mit Siemens soll mehr entstehen. Schirr könnte sich etwa theologische Start-ups für Campusseelsorge an Innovationszentren wie dem des Konzerns vorstellen. „Das Bedürfnis nach Gesprächen ist bei den stark geforderten Menschen in der Start-up-Szene sehr groß.“ Und das Interesse bei Siemens und anderen Netzwerken an einer Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden auch.
Christentum: aus Scheitern entstanden
So sehr beide Teams sich von der Start-up-Szene inspirieren lassen, gibt es auch einen großen Unterschied: Dort dient das Erzählen vom Scheitern dazu, etwas zu lernen und positiv aus der Sache hervorzugehen. Das sehen Nowak und Schirr anders. „Das Sprechen darüber, sich gegenseitig zu stärken, ist viel wert“, sagt Paula Nowak, „Es geht nicht um Absolution, sondern auch ums Aushalten“, ergänzt Bertram Schirr. Denn insbesondere in der Kirche sollte Scheitern kein Problem sein, finden sie. „Jesus hat doch auch lauter Fails gehabt“, sagt Nowak. Schirr fügt hinzu: „Die Geschichte vom Erlöser, der umgebracht wird, ist wohl das epischste Scheitern, was es jemals gab. Auch die Apostelgeschichte fängt damit an, dass Leute darüber reden, wie furchtbar alles ist. Und daraus entsteht dann der Heilige Geist, der sich über ihnen ausgießt.“ Eine urchristliche Botschaft also.