Ihr Name ist Programm: Gans, so erklärt der Duden, stammt aus dem Mittel- und Althochdeutschen und bedeutet „Faucherin“ oder „Gähnerin“. Benannt sei das Tier nach dem heiseren Geräusch, das es in erregtem Zustand mit geöffnetem Schnabel von sich gebe. Viele solcher Schnäbel werden sich in diesen Tagen für immer schließen: Denn am 11. November ist wieder Sankt Martin – und dann kommt vielerorts Gänsebraten auf den Tisch. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.
So erinnert die Martinsgans an den mittelalterlichen Zahl- und Pachttag 11. November; Zinsen und Steuern wurden oft in Naturalien, etwa in Form einer Gans, erbracht. Auch ließ sich vor dem Beginn der vorweihnachtlichen Fastenzeit gut noch mal was Deftiges schlemmen.
Verschiedene Legenden rund um die Gans
Schön auch folgende Legenden: Einmal heißt es, Martin soll sich in einem Gänsestall versteckt haben, um seiner Wahl zum Bischof durch das Volk zu entgehen. Die schnatternden Tiere verrieten ihn aber und mussten dafür büßen. Einer anderen Version zufolge zogen sich die Vögel ihr Braten-Schicksal als Strafe dafür zu, dass sie in die Kirche gewatschelt waren und dort Martins Predigt gestört hatten.
Anderen Menschen soll das Vogelgezeter hingegen das Leben gerettet haben. Der Sage nach weckten 387 vor Christus auf dem Kapitol als heilige Tiere der Göttin Juno lebende Gänse die Römer, als sich nachts die Kelten anschlichen, um die Stadt zu überfallen. „Eine gute Geschichte, wenngleich nicht sehr überzeugend“, meint Josef H. Reichholf in seinem Buch „Haustiere – Unsere nahen und doch so fremden Begleiter“. Schließlich schliefen Gänse, wenn es dunkel ist.
Wachsamkeit und Angriffslust besäßen Gänse aber tatsächlich, besonders Nilgänse, ergänzt Reichholf. Sie „gehen außerordentlich lautstark und aggressiv gegen jeden Eindringling vor, mag dieser ein riesiger Büffel oder auch ein Löwe sein. Reicht das Drohen nicht, fliegen sie die Störer unerschrocken an und ihnen ins Gesicht“. Dies gelte besonders während der Nachwuchsaufzucht.
Gössel heißen Gänseküken übrigens, und ihr Vater ist ein Ganter, Ganser oder Gänserich. Gans ist überdies nicht nur der Name einer ganzen Unterfamilie der Entenvö-gel, sondern laut Duden zudem ein Schimpfwort für eine „unerfahrene, junge weibliche Person“.
Eine junge weibliche Person spielt auch die Hauptrolle in „Amy und die Wildgänse“. Letztere sind aber die eigentlichen Stars in dem 90er-Jahre-Kinohit, der erzählt, wie vom Menschen aufgezogene Kanadagänse per Ultraleichtflugzeug den Zug in den Süden gelehrt bekommen.
Auch in Filmen und Märchen gibt es Gänse
In der Geschichte um den Kinderbuchhelden Nils Holgersson sind es unterdessen die Gänse, die einen zum Wicht verwandelten Jungen zum Fliegen bringen, indem sie ihn rücklings mitnehmen. Und auch im Märchen kommt der Vogel vor, bei den Brüdern Grimm etwa als „Die goldene Gans“. Über dieses Wesen gelangt ein als „Dummling“ verspotteter Mann zu Glück und Wohlstand.
In der Realität ist das Gans-Mensch-Verhältnis getrübter. Bauern beklagen regelmäßig Weidefraßschäden durch Wildvögel, und aus diversen Freibädern gibt es Klagen, die Tiere sorgten für jede Menge Dreck und damit womöglich ein Gesundheitsrisiko. Tierschützer wiederum kritisieren immer wieder Quälerei bei der Gewinnung von Daunen und der besonders in Frankreich begehrten Stopfleber. Dabei nutze man die Fähigkeit der Gänse zur raschen übermäßigen Gewichtszunahme aus, erklärt Buchautor Reichholf. Biologischer Hintergrund dafür sei wohl der Jahresrhythmus: Als Zugvögel müssten Gänse für ihre Reisen rechtzeitig „zugfett“ werden.
Konrad Lorenz bediente sich der Gans auf freundlichere Weise. Der Zoologe und Verhaltenswissenschaftler zog unter anderem Gössel von Hand auf – so wie Filmstar Amy. Der Unterschied: Lorenz bekam dafür – sprich für die dahinterstehenden Forschungen zur Prägung im Tierreich – 1973 den Nobelpreis. Er hatte beschrieben, dass Gänseküken nach dem Schlüpfen das erste bewegliche Objekt als Mutter be-greifen. Jenem Vogelkind, das ihn als Erstes darauf brachte, gab Lorenz übrigens folgenden Namen: Martina. Nach einer Freundin seiner Familie – nicht nach dem Schlachtfest.