Rom-Reiseführer gibt es zu Hauf, gerade zum Heiligen Jahr. “Kraftort Rom” sticht dennoch heraus, nicht nur, weil es das letzte Werk des Benediktiners Notker Wolf ist. Mit-Autorin Corinna Mühlstedt schrieb es allein zu Ende.
Rom ist laut, überfüllt und anstrengend, fast immer. Aber Rom ist auch zauberhaft, inspirierend, voll Energie und Wunder, fast überall. Wer in diesen “Kraftort Rom” eintauchen will, findet in dem gleichnamigen Reiseführer einen Wegbegleiter. Auch wenn die enthaltenen “spirituellen Streifzüge” mit Blick auf das Heilige Jahr 2025 konzipiert sind, eignen sie sich nicht nur für Christen, sagt die Journalistin Corinna Mühlstedt, die das Buch gemeinsam mit Benediktinermönch Notker Wolf geschrieben hat. “Wer nach einem tieferen Lebensinhalt sucht und eine gewisse Offenheit hat, ist hier richtig – ob Christen, Juden, Muslime oder auch Atheisten”, so die evangelische Theologin.
In zwölf Kapiteln präsentiert das ökumenische Duo mehr als zweitausend Jahre Geschichte – und Geschichten. Erzählt von Kirchenlehrern wie Augustinus, Ordensleuten wie Mutter Teresa, dem Heiligen Benedikt oder auch dem einstigen Mönch und späteren Reformator Martin Luther, bis hin zu sozial engagierten Christen von heute wie der Gemeinschaft Sant’Egidio, die sich für Menschen auf der Flucht und in Not einsetzt. Die Kapitel tragen programmatische Titel wie “Aufbrechen”, “Innehalten – Krisen akzeptieren”, “Sehnsucht nach Heilung” und “Ankommen” und laden zu einem “mystischen Weg” ein.
Eine Übersichtskarte im reich bebilderten Taschenbuch zeigt die beschriebenen Orte, darunter Roms berühmteste Sehenswürdigkeiten wie den Petersdom, den “Mund der Wahrheit” oder die Piazza Navona. Und auch weniger bekannte Ziele wie das Kloster Tre Fontane vor den Toren Roms, den “Waldensertempel”, eine prachtvolle Moschee und die große römische Synagoge gegenüber der Tiberinsel sind beschrieben. Dem Massentourismus nach dem Motto “Selfie und weiter” gibt das Buch keine Chance, ganz gemäß dem Wunsch von Papst Franziskus, jeder Heilig-Jahr-Besucher solle eine tiefere innere Erfahrung aus Rom mitnehmen.
Daher streift das Buch auch verstecktere Schätze wie das Kirchlein “San Benedetto in Piscinula” in Tibernähe, zu Deutsch “Sankt Benedikt im Bade”, weil dort – typisch römischer Humor – bis ins 18. Jahrhundert viele Badeanstalten lagen. In der Kirche “Domine Quo Vadis” an der Via Appia Antica kann man sogar die Fußspuren von Jesus bewundern. An diesen nur selten überlaufenen Orten besteht die Chance, Ruhe und Einkehr zu finden, erläutert Mühlstedt, die an der päpstlichen Universität Gregoriana und in München studiert und dort über christliche Bildsymbolik promoviert hat.
Es werden kunsthistorische Kostbarkeiten wie Caravaggios “Bekehrung des Apostels Paulus” und Kuriositäten wie eines der ältesten Graffiti vorgestellt, zu sehen in einem Museum auf dem Palatin: Eine Gestalt mit Eselskopf vor oder an einem Kreuz, daneben ein junger Mann mit grüßender Geste. Die eingeritzte Inschrift der Schülerzeichnung lautet etwa “Alexamenos huldigt seinem Gott”. Das Spottkruzifix ist zugleich eine der ältesten Kreuzesdarstellungen aus der Zeit der frühen Christen.
Das Buch über Rom schlägt den Bogen von den ersten Märtyrern um Petrus und Paulus bis hin zu den “ökumenischen” Märtyrern des 20. Jahrhunderts, an die die Kirche San Bartolomeo auf der Tiberinsel erinnert. “Da merkt man, dass das leider kein Phänomen der Vergangenheit ist, sondern sehr aktuell. Andererseits gibt deren Vorbild der Kirche eigentlich Glanz und lässt uns viel über die positive Kraft des Glaubens lernen”, so die Theologin Mühlstedt.
Den Schlusspunkt setzt, ganz gemäß der Choreographie des Heiligen Jahres, der Gang durch die Heilige Pforte des Petersdoms, den gläubige Katholiken symbolisch mit dem Nachlass der Sündenstrafen verbinden. “Aber Notker Wolf und ich wollten das gerne modern und ökumenisch interpretieren, denn evangelische Christen hatten im 16. Jahrhundert ja ein Problem mit ‘Ablasshandel’ und dem schlichten Freikaufen von Sünden”, spielt sie auf die Zeit der Reformation an. “Wir möchten den Weg durch die Heilige Pforte daher als Weg durch eine innere Tür sehen: als einen psychologischen Prozess und Impuls, dem anderen oder mir selbst zu vergeben und daraus neue Kraft zu ziehen.”
Dass sich Papst Franziskus durch das Heilige Jahr auch Impulse für die Ökumene wünscht, findet bei der Protestantin großen Anklang. Gerne würde sie dem Papst “Kraftort Rom” überreichen – leider ohne Notker Wolf, denn der frühere Benediktiner-Abtprimas war überraschend im April mit 83 Jahren gestorben. “Es war ein Schock”, sagt Corinna Mühlstedt, die 30 Jahre lang mit dem Ordensmann befreundet war. “Das Buch ist ein positiver Appell, den Notker Wolf hinterlassen hat.”