Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht – warum ist das ein Thema? Sind nicht die rechtlichen Regelungen in Nordrhein-Westfalen (NRW) zum konfessionellen Religionsunterricht völlig ausreichend? Wird nicht in vielen Schulen längst im Klassenverband unterrichtet? Welchen Sinn hat die Bemühung um konfessionelle Kooperation?
In den letzten Jahren haben sich einige Veränderungen sowohl in der Praxis als auch in den Rahmenbedingungen des Religionsunterrichtes ergeben, die nachhaltige Planungen für die Zukunft des Religionsunterrichts erforderlich werden lassen.
1. Gesetzliche Rahmenbedingungen, gegenwärtige Herausforderungen
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichtes werden in NRW politisch zur Zeit nicht in Frage gestellt. Es gelten die Bestimmungen des Grundgesetzes. Gemäß Artikel 7 ist der Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften“ als konfessioneller Religionsunterricht zu erteilen. In Artikel 4 wird die Freiheit der Religionsausübung der Bürgerinnen und Bürger unter staatlichen Schutz gestellt. Von daher sind die Regelungen des Artikels 7 den Religionsunterricht betreffend zu interpretieren: Der Religionsunterricht ist weder ein Relikt aus ‚Kaisers Zeiten‘ noch ein staatliches ‚Geschenk‘ an die Kirchen, sondern die Bedingung der Möglichkeit der Religionsausübung in formalen Bildungsprozessen. Darum ist die Bemühung um die Einführung islamischen Religionsunterrichts notwendig.
Insofern nimmt der Religionsunterricht Bezug auf gesellschaftlich reale Religionsgemeinschaften als inhaltliche Bezugsgrößen, mit denen die Inhalte des Religionsunterrichtes abgestimmt werden. Religionsunterricht ist in NRW kein neutrales religionskundliches Fach, sondern ermöglicht den Schülern die Begegnung mit ihrer Religion.
Soweit die Theorie. In der Praxis werden in vielen Fällen sehr pragmatische, sogenannte ‚ökumenische‘ Lösungen für die Erteilung des Religionsunterrichtes erkennbar. Der Begriff ‚ökumenischer Religionsunterricht‘ ist in diesem Zusammenhang problematisch, da es keine ökumenische Kirche als Religionsgemeinschaft gibt. Daher ist die offizielle Sprachregelung in allen Dokumenten, die die Zusammenarbeit der Kirchen im Religionsunterricht betreffen, die Bezeichnung ‚Konfessionelle Kooperation‘. Ziel der Überlegungen zur konfessionellen Kooperation ist in kirchlichen Verlautbarungen die Beibehaltung der Konfessionalität des Religionsunterrichtes.
Aus schulpraktischen, auch aus pädagogischen Überlegungen erscheint vielen Lehrkräften sowie Schulleitungen der gemeinsame Unterricht im Klassenverband auch im Religionsunterricht die bessere Lösung zu sein. Darüber hinaus ergibt sich eine deutliche Veränderung der Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts durch zwei Phänomene, die zumeist mit den Stichworten Säkularisierung und Pluralisierung beschrieben werden und die immer deutlicher zu Tage treten: Einerseits ist der Anteil der konfessionslosen Kinder innerhalb der Schülerschaft erheblich. Andererseits hat in den vergangenen Jahren der Anteil muslimischer Schüler signifikant zugenommen. (Konfession der Schülerinnen und Schüler NRW gesamt: katholisch: 40 Prozent; evangelisch: 28 Prozent; islamisch: 13 Prozent; konfessionslos: 14 Prozent.) Aufgrund dieser Entwicklung verändert sich die Praxis des Religionsunterrichtes. So ist an vielen Schulen im Ruhrgebiet die Aufteilung der Schüler für den Religionsunterricht schwierig geworden. Zudem ist die konfessionelle Aufteilung der muslimischen Schülerinnen niemals angedacht worden – wieso sollte einer immer kleiner werdenden Gruppe christlicher Schüler dieses Recht vorbehalten bleiben. Es ist offensichtlich, dass Regulierungsbedarf besteht. Die rechtliche Unsicherheit darf keinesfalls weiterhin den Lehrern oder den Schulen aufgebürdet werden – die Kirchen sind verpflichtet, gemeinsam mit der staatlichen Seite nach Lösungen zu suchen. Eine Antwort auf die Gesamtsituation wäre eine offizielle und rechtlich abgesicherte konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht.
2. Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht
In anderen Bundesländern ist diese Organisationsform für den Religionsunterricht bereits rechtlich abgesichert und erprobt. Bei dieser Unterrichtsform handelt es sich um Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes, wobei die Perspektiven beider Konfessionen bewusst in den Unterricht eingebracht werden. Dazu gibt es zum Beispiel in Niedersachsen und Baden-Württemberg entsprechende Vereinbarungen zwischen Staat und Kirchen, die Verfahrensfragen und Lehrplanbezüge regeln. In NRW gibt es bisher nur eine Vereinbarung zwischen der Lippischen Landeskirche, dem Erzbistum Paderborn und der Bezirksregierung Detmold für den Bereich Grundschulen in Lippe mit guten Erfahrungen. In der Baden-Württembergischen Konzeption werden die Ziele solchen Unterrichtens deutlich: Ziel der Vereinbarung aus dem Jahr 2005 ist es, „den Schülerinnen und Schülern ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Konfession zu schaffen, die ökumenische Offenheit der Kirchen erfahrbar zu machen und den Schülerinnen und Schülern beider Konfessionen die authentische Begegnung mit der jeweils anderen Konfession zu ermöglichen“. Die je besonderen konfessionellen Eigenarten sind zu thematisieren, mit der Absicht, „Gemeinsamkeiten zu stärken und Unterschieden gerecht zu werden“. Dabei ist für jede Lehrkraft der Lehrplan der eigenen Konfession verbindlich ergänzt um drei bis sechs weitere Standards aus dem Lehrplan der je anderen Konfession. Diese sind für jede Schulform in einem „verbindlichen Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht“ festgelegt. Darüber hinaus ist der obligatorische Lehrerwechsel zu verabreden.
Die Evaluation kommt überwiegend zu einem positiven Ergebnis. Kritisiert wird vor allem das umständliche Genehmigungsverfahren. Hervorzuheben ist aber die Einschätzung, dass die oben genannten drei Hauptziele des Projektes als richtungsweisend eingestuft werden und die konfessionelle Kooperation für den interkonfessionellen Dialog von hoher Bedeutung ist. Außerdem ist bemerkenswert, dass gerade der konfessionell-kooperative Unterricht geeignet ist, die konfessionelle Identität der Schüler zu stärken. Zwar nur in einer Anmerkung – jedoch möglicherweise darüber hinaus zielführend ist der Hinweis, dass bei entsprechend vorhandenem islamischen Religionsunterricht in einem weiteren Schritt auch über interreligiöse Kooperation nachgedacht werden könne.
3. Pilotprojekte in NRW
Im Bereich der Westfälischen Landeskirche gibt es erste Pilotprojekte mit dem Ziel, zu einer generellen Verabredung über die konfessionelle Kooperation zu kommen. An der städtischen katholischen Ostwallgrundschule sowie der städtischen Realschule in Lüdinghausen wurde ein Schulversuch mit dem Schuljahr 2013/14 initiiert unter Begleitung durch das Pädagogische Institut sowie der religionspädagogischen Abteilung des Bistums Münster. Es wurden mit der Fachschaft Curricula erarbeitet, die auf die gültigen Lehrpläne beider Konfessionen Bezug nehmen, um den SchülerInnen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Konfessionen bewusst zu machen. Die vier 3. Klassen werden nun im gemischt konfessionellen Klassenverband unterrichtet und der Lehrerwechsel bewusst verabredet.
Darüber hinaus hat die Westfälische Landeskirche mit dem Erzbistum Paderborn und der Bezirksregierung Detmold mehrere Pilotprojekte an Gesamtschulen initiiert, die voraussichtlich mit dem kommenden Schuljahr starten werden. Letztlich sind all diese Versuche keine ‚Revolutionen‘, sondern die gemeinsame Bemühung der Kirchen darum, dass auch in Zukunft Schüler die Möglichkeit behalten, sich mit lebendiger Religion persönlich auseinanderzusetzen, um in ihrer religiösen Haltung kommunikationsfähig zu werden.
Rainer Timmer ist Leiter des Pädagogischen Instituts der EKvW.