Ist das Grundgesetz in guter Verfassung? Was die Verständlichkeit des Textes angeht, lautet die Antwort: Eher nein. In einige Bereichen kann es aber auch punkten.
Das deutsche Grundgesetz ist frei von Anglizismen und könnte daher gut verständlich sein – ist es aber nicht. Das ergab eine Analyse des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider im Auftrag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). So enthalte das Grundgesetz etwa zu viele Hauptwörter, was “typisch für Amtsdeutsch und Rechtstexte” sei.
Auf dem von Brettschneider mit entwickelten Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX) erreicht das Grundgesetz einen Wert von 3,8 auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich). Damit liege der Gesetzestext etwa hinter Corona-Pressemitteilungen oder Doktorarbeiten im Fach Politikwissenschaft und nur knapp vor den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken.
Der verständlichste Artikel ist demnach Artikel 2 zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit (16,9). Vier Artikel werden mit 0,0 bewertet, darunter Artikel 35. Dieser regelt etwa den Einsatz der Bundeswehr innerhalb Deutschlands bei Naturkatastrophen.
Mehr als ein Drittel der Sätze des Grundgesetzes enthielten laut Untersuchung mehr als 20 Wörter und seien damit zu lang. Mit Blick auf eine gute Verständlichkeit dürfen laut Brettschneider maximal drei Prozent der Sätze in einem Text länger sein. Lange Wörter kämen im Grundgesetz dagegen kaum vor, mit drei Prozent werde hier ein guter Wert erreicht. Als Beispiel für Wörter mit mehr als 16 Buchstaben nennt der Experte “Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz” (Art 125c).
Brettschneider weist darauf hin, dass mit dem HIX lediglich die Text-Merkmale untersucht würden. Ob ein Text tatsächlich verstanden werde, hänge von weiteren Faktoren ab wie Bildung, Alter, Vorwissen der Leserinnen und Leser sowie deren Interesse am Thema. Auch sage die formale Verständlichkeit nicht allein etwas über die Qualität eines Textes aus. Der Inhalt sei dafür noch wichtiger. Menschen würden jedoch formal verständliche Texte besser verstehen und wiedergeben.