In seinem Heimatland England hat man ihm – jedenfalls zu seinen Lebzeiten – keine Wertschätzung entgegengebracht. Für Literaten wie Ernest Dowson oder seinen Freund Oscar Wilde, die sich außerhalb der puritanisch-bürgerlichen Norm bewegten, war kein Platz in der damaligen britischen Gesellschaft. Schade, denn der 1867 geborene und bereits 1900 gestorbene Dichter Ernest Dowson hat ein kleines, aber feines lyrisches Werk hinterlassen und damit andere moderne Lyriker geprägt. Bis vor Kurzem lagen allerdings nur drei seiner Gedichte in deutscher Sprache vor. Das hat sich mittlerweile geändert. Denn der Soester Pfarrer Frank Stückemann hat die Gedichte des englischen Symbolisten übersetzt – und dafür auch in Fachkreisen höchste Anerkennung erfahren. Wie es zu diesem „Hobby“ des promovierten Theologen kam, hat er Annemarie Heibrock bei einem Besuch in der UK-Redaktion in Bielefeld erzählt.
Sie sind Theologe, kein Anglist. Wie sind Sie auf diesen außergewöhnlichen, aber unbekannten Dichter gestoßen?
Über den Lyriker Stefan George, der drei Gedichte von Ernest Dowson übersetzt hat. George wiederum hatte mir mein exzellenter Konfirmator im Rheinland schon in jungen Jahren nahegebracht.
Was ist es denn, das Sie an den Texten von Dowson besonders fasziniert?
Das ist die Musikalität der Sprache, die es in der deutschsprachigen Lyrik seit 50 Jahren nicht mehr gibt. Der Wohlklang der Verse, Binnenreime oder Assonanzen, also die Wiederholung von Vokalen in verschiedenen Versen an jeweils entsprechender Stelle… Das alles zusammen macht den Reiz von Dowsons Texten aus. Dazu kommt, dass vieles inhaltlich nur angedeutet, nicht ausgeführt ist.
Einen Schriftsteller zu entdecken und sein Werk zu lesen, ist eine Sache. Eine andere, sich an die Übersetzung zu begeben, vor allem, wenn es sich um Lyrik handelt…
Allerdings. Ich war 1996 in England im Urlaub und bin dort in einem Antiquariat auf die Originalausgabe der Gedichte Dowsons gestoßen. Was für ein toller Fund, dachte ich. Zumal das Buch mit einem Einband versehen war, den Aubrey Beardsley gestaltet hatte. Beardsley gehört ja zu den englischen Künstlern, die man auch in Deutschland noch kennt. Und als ich dann feststellte, dass bis heute nicht mehr als die drei von George übersetzten Gedichte in deutscher Sprache vorliegen, kam die Idee, mich selbst ans Werk zu machen.
Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Alles in allem 18 Jahre. Wobei sich die Stunden nicht zählen lassen. Aber klar ist, dass man viel mehr braucht als einen Abend, um ein Gedicht zu übersetzen.
Weil man es ja nachdichten muss…
Genau. Darum ist es wichtig, die Arbeit zwischendurch immer wieder ruhen zu lassen, um sie mit zeitlichem Abstand besser kritisch betrachten und überdenken zu können.
„Kongenial“ sei Ihre Übertragung ins Deutsche, heißt es in einer Rezension. Wie konnten Sie denn die Arbeit an den Texten mit Ihrem Hauptberuf verbinden?
Das ist eine Frage der Disziplin. Man muss eben abends auf den Fernseher verzichten und stattdessen Klimmzüge am Schreibtisch machen.
Ernest Dowson ist aus der Anglikanischen Kirche ausgetreten und zum Katholizismus konvertiert. Steckt noch mehr dahinter als der Protest gegen die englische Mehrheitsgesellschaft? Vielleicht die größere Sinnenfreude der katholischen Kirche und ihr ungebrocheneres Verhältnis zu künstlerischen Ausdrucksformen?
Davon kann man ausgehen. Der anglikanische Puritanismus, der das zweite Gebot missbraucht hat als Sabotage gegen jede kulturelle Anstrengung, hatte immer den Affekt des Anti-Künstlerischen. Dowson war, wie er sagt, der „anglikanischen Herablassung müde“. Das Christentum bewertete er zudem weniger als weltanschauliche Größe, sondern vielmehr als ästhetischen Erlebnisraum. Da gibt es dann plötzlich Kirchtürme aus Elfenbein. Eine schöne Vorstellung!
Also ein Plädoyer für ein Christentum der Sinne?
So ist es.
Welche Rolle spielt die Religion in den Gedichten Dowsons?
Tatsächlich findet man eine direkte Identifkation des Dichters mit Christus, vor allem mit dessen Leiden. Künstler wie Dowson ließen sich ja eher totschlagen als etwas von ihrem künstlerischen Anspruch aufzugeben. Sein Werk war ein Protest des Geistes gegen die Geistlosigkeit seiner Zeit.
Apropos Geist: Um die Texte Dowsons zu verstehen, braucht man streckenweise recht viel davon. Seine Gedichte erschließen sich in ihrer Tiefe und Symbolhaftigkeit nicht beim einmaligen Lesen.
Das stimmt. Man braucht literarische Vorerfahrung, um seine Gedichte zu verstehen. Andererseits gibt es dann auch das große Vergnügen, nach drei- oder viermaliger Lektüre immer noch neue Schönheiten, Nebenklänge oder Nebenbedeutungen auf der Sinnebene zu entdecken.