Es ist kalt in der Kirche. Weihnachtsstimmung kommt da nicht auf. Auch nicht, als die Weisen aus dem Morgenland losziehen. Ihre Kronen aus Goldpapier sind schon leicht eingedellt, dafür sitzt der rote Bademantel perfekt, der ein prächtiges königliches Gewand abgibt. Zur Extraprobe am Samstag hat es nur ein Teil der bunt zusammengewürfelten Truppe aus Katechumenen und Konfirmanden in die St. Thomaskirche in Minden geschafft. Längst nicht alle sind schon textsicher.
Sie kommen aus den verschiedenen Gebieten der Gemeinde am Mindener Stadtrand, zu deren Einzugsgebiet marode Wohnblocks im sozialen Brennpunkt Rodenbeck ebenso zählen, wie sauber aufgeräumte Einfamilienhaussiedlungen in einer der begehrtesten Lagen der Weserstadt. Und während einige der Krippenspieler im beheizten Auto zur Kirche gebracht wurden, haben sich andere zu Fuß auf den Weg gemacht.
Im nüchternen Kirchenbau aus den 60er Jahren werden sie ein Team. Das Krippenspiel, das sie für zwei Gottesdienste an Heiligabend einstudieren, haben sie gemeinsam mit Pfarrerin Catharina Blum selbst entwickelt. Wie viel Text, wie groß ist die Rolle, wer traut sich was – all das haben die Teenager selbst festgelegt. Sie haben sich Namen gegeben, an kleinen Witzchen gefeilt, ihren eigenen Zugang zur Weihnachtsgeschichte gesucht – und gefunden.
Herausgekommen ist ein liebenswertes Krippenspiel-Personal mit Ecken und Kanten und kleinen Verrücktheiten. Catharina Bluhm hat ihren Katechumenen und Konfirmanden die Worte auf den Leib geschrieben. Oder auch nicht: Wer eine Rolle ohne Text wollte, hat sie bekommen, denn nicht jedem fällt es leicht, einen Text zu lernen oder gar den großen Auftritt hinzulegen. Wer zuhause oder in der Schule ein großes Päckchen zu tragen hat, trägt hier ein kleines.
So wird Finn als freundlicher Wirt Maria und Josef eben wortlos eine Herberge bieten. Noah, Noel und Justina werden im Lichterglanz des Heiligen Abends ganz unscheinbar durch den Altarraum huschen, um alle Requisiten zur rechten Zeit am rechten Platz zu haben. Maria wird am Lesepult stehen und die Rahmenhandlung lesen. Die Atmosphäre ist ruhig und gespannt. Blödsinn macht heute niemand.
Manche Passagen werden mehrmals geübt
Es geht los. Malte probt seine Rolle des Malthesion. Textsicher ist er noch nicht. Macht nichts, ein bisschen Zeit hat er noch. Erzählerin Maria führt in die erste Szene des Krippenspiels ein. Wir befinden uns im Palast der „liebreizenden Königin Victoria“, die heute leider nicht zur Probe kommen konnte. Die Pfarrerin springt ein, nachdem geklärt ist, wer den roten Bademantel trägt.
Maria rattert ihren Text von der Kanzel in die leere Kirche – und Regisseurin Catharina Bluhm lässt sie erstmal rattern. Mit dem Spickzettel in der Hand darf dann Haushofmeister Malthesion ran. Es dauert einen Moment, bis die erste Aufregung verflogen ist. Erst dann versucht die Pfarrerin Marias Lesefluss zu beruhigen, ihren Sinn für Betonungen in der Sprache zu wecken. Vielleicht funktioniert es besser vom Lesepult als von der Kanzel? Maria wechselt die Position, atmet durch und liest beim nächsten Mal schon viel ruhiger: „Irgendwo in einem Palast im Orient vor ungefähr 2018 Jahren…“.
Es folgt die Szene, in der sich Königin Victoria gemeinsam mit ihren Königs- und Wissenschaftler-Kollegen „Henrik der Faule“ und „Maximilian der Spinner“ aufmachen, um dem Stern zu folgen, der sie schließlich zu Chiara und Charlize führen wird, die Maria und Josef spielen. Doch die müssen sich natürlich erst noch auf den Weg machen. Abtritt Könige. Auftritt Maria und Josef. Einsatz für das Requisiten-Team, die aus dem Palast, der im Wesentlichen aus einem Stuhl besteht, mit wenigen Handgriffen Nazareth machen.
Maria liest wieder: „Irgendwo in Nazareth vor ungefähr 2018 Jahren …“. Dann legen Chiara und Charlize los. Aufgeregt spulen sie ihre Texte herunter, zu schnell und zu aufgeregt, um sie gut zu verstehen – doch Pfarrerin Catharina Bluhm verschiebt die Kritik auf später: „Merkt ihr das?“, fragt sie die anderen Jugendlichen, „ unser ,Josef‘ kann seinen Text schon komplett auswendig!“ Die anderen spenden spontan Applaus. Hier ist ein Team am Werk.
Charlize freut sich über das Lob und gibt sich noch mehr Mühe. Sie versucht ihren Worten mit Mimik und Gestik mehr Kraft zu geben. Sie scheint erleichtert zu sein, dass sie sich unter ihrer Schiebermütze ein bisschen verstecken kann. Ihre Kollegin Chiara ist nun vom Ehrgeiz gepackt und versucht immer mehr Passagen frei zu sprechen.