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Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung: Ostdeutsche sind religiöser

Besonders in Ostdeutschland, wo die Zahl der Mitglieder altersbedingt sinkt, ist die Kirche überraschend angesehen. In Gemeinden und Kirchenkreisen der EKBO werden die möglichen Konsequenzen erörtert.

Trotz geringer Mitgliederzahlen genießt die Kirche in Ostdeutschland einen guten Ruf. Das zeigen erste Auswertungen der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung
Trotz geringer Mitgliederzahlen genießt die Kirche in Ostdeutschland einen guten Ruf. Das zeigen erste Auswertungen der 6. KirchenmitgliedschaftsuntersuchungImago / Norbert Neetz

In diesen Tagen wird ein Buch mit vielen Karten veröffentlicht, Arbeitstitel: Kirchenatlas. Das Werk illustriert anhand von gegrafischen Karten, wie es Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit der Kirche halten. Es zeigt regionale Unterschiede der Mitgliederzahlen in Deutschland auf. Große farblose Landstriche (keine Kirchenmitgliedschaft) heben sich besonders in Ostdeutschland ab.

Das Kartenwerk basiert auf der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), die 2023 repräsentativ bei Konfessionslosen, katholischen und evangelischen Christen sowie bei Muslimen, Buddhisten, Freikirchlichen oder Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften erhoben und Anfang 2024 veröffentlicht wurden. Seither werden Analysen zu einzelnen Themen und Regionen nacheinander von den Sozialwissenschaftlern der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) publiziert; auch die katholische Kirche beteiligt sich wissenschaftlich und finanziell.

Umfrage unter Christen: „Wie hältst Du es mit der Kirche?“

Seit Anfang dieses Jahres 2025 gibt es einen Auswertungsband mit dem Titel „Wie hältst Du es mit der Kirche?“. Koordiniert hat ihn Edgar Wunder, der am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD arbeitet. Zum Job des promovierten Soziologen gehört es, Vorträge in Kirchengemeinden und Kreissynoden zu halten, wo man versucht, die KMU-Befunde zu verstehen und in die örtliche Praxis zu übertragen. Neulich sprach Wunder in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Zwei von drei Berlinern sind konfessionslos. Noch deutlicher ist das Verhältnis in Brandenburg und der Lausitz, wo acht von zehn Bürgerinnen und Bürgern keiner Kirche angehören. Überall in Stadt und Land schrumpfen die Mitgliederzahlen – aber die Reichweite der Kirchen bleibt überraschend stabil, eine Mischung aus Ansehen, Respekt und Bekanntheitsgrad.

Reichweite ist zum Schlüsselbegriff geworden. Engagierte Gemeindeglieder und kirchliche Repräsentanten arbeiten überall daran. „Wir schaffen Orte, die dem veränderten Bedürfnis der Menschen gerecht werden“, sagte Michael Raddatz, Superintendent des Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg im November vor Synodalen und nannte künftige Schwerpunkte: Kirche im digitalen Raum, Krankenhausseelsorge, Trauerbegleitung, Hausbesuche.

KMU: Kirchenvertrauen in Ostdeutschland auch bei Nichtmitgliedern

Vergleichbare Initiativen kommen aus Potsdam, wo sich die Kreissynode im November mit dem Thema beschäftigte: „Mitgliederorientierung zwischen Gottesdienst, Besuchsdienst und Party“. Die Landeskirche initiierte nun ein Kontaktjahr: „Ein Herzstück der Aktion ist der Kurzbesuch bei Mitgliedern.“ Die KMU-Sozialwissenschaftler staunen: Überraschenderweise sei es der „kleinstädtische Raum“ in Brandenburg und Mitteldeutschland – nicht so sehr die wenigen Großstädte oder das dörfliche, bevölkerungsarme Land – der für eine Stabilisierung von Religion und Kirchenvertrauen stehe, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Vom Gemeindeleben in den Klein- und Mittelstädten des Ostens gehen offensichtlich soziale und kulturelle Impulse aus, die Vertrauen und Ansehen auch bei Nichtmitgliedern schaffen.

Beachtlich sei außerdem die soziale Reichweite der Institution Kirche in Ostdeutschland. Sie habe sich nicht unerheblich von der dort geringen Kirchlichkeit und Religiosität entkoppelt, heißt es im Analysenband. Motto: Ich glaube an nichts. Aber was die Kirchen tun, finde ich sehr gut.

Die Kirche hat einen guten Ruf in Ostdeutschland

Jeder dritte Ostdeutsche, so die Autoren, habe im vergangenen Jahr Kontakt zu kirchlichen Einrichtungen gehabt – kaum weniger als die Westdeutschen. Der Referenzpunkt (nicht nur) für die Evangelischen sei nach wie vor die Ortsgemeinde mit Pfarrpersonen, mit engagierten beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Das spricht für einen guten Ruf der Kirchen vor Ort – auch bei Nichtmitgliedern. Vielleicht hat dies mit der recht stabilen religiösen Haltung der (wenigen) Protestanten in Ostdeutschland zu tun, die ihrer Kirche seit der Taufe sehr verbunden sind. „Ostdeutsche Evangelische sind im Vergleich zu westdeutschen Evangelischen religiöser und haben eine höhere Kirchenbindung“, so die EKD-Sozialwissenschaftler.

„Ost-Evangelische zeigen auch außerkirchlich ein höheres Maß an ehrenamtlichem Engagement als West-Evangelische. Sie haben ein stärkeres Vertrauen in Mitmenschen und messen dem Wert, sozial Benachteiligten und gesellschaftlichen Randgruppen helfen’ eine höhere Bedeutung zu als West-Evangelische“, heißt es in der Veröffentlichung.