Knapp zwei Wochen nach dem Reformationstag wird noch fleißig über die Bedeutung und die Folgen des 500-jährigen Jubiläums diskutiert. Im Internet sorgt dieser Tage ein Vortrag mit dem Titel „Es sterbe das Zitat, es lebe die Reformation“ für Aufsehen. Veröffentlicht hat ihn Erik Flügge, der sich „strategischer Berater“ nennt und der im vergangenen Jahr mit dem Buch „Der Jargon der Betroffenheit“ einen Bestseller gelandet hat.
Der 31-Jährige zieht, insbesondere im Blick auf die Sprache auf evangelischen Kanzeln, eine vernichtende Bilanz. Flügge spricht von einem „Wohlfühl-Reformationsgedenken“, das ihn zuweilen anwidere, und von „herumeiernden Reden, in denen man sich nicht traut, einen starken Gedanken zu formulieren“. In seinem Vortrag betont er, es treibe ihn in den Wahnsinn, von protestantischen Rednern „pausenlos mit Zitaten eingelullt zu werden“ – von Luther bis Bonhoeffer.
Martin Luther vergleicht er mit dem Schauspieler Klaus Kinski und beschreibt ihn als „brutalen, beleidigenden und großartigen Redner, einen Virtuosen ohne Rücksicht.“ Und solch eine Sprache und ein Auftreten wünscht Erik Flügge sich auch von den heutigen Theologinnen und Theologen.
Predigten, die den „Raum erschüttern"
Flügge möchte Predigten hören, die den „Raum erschüttern, spaltend, aggressiv und deutlich“. An den Wahlerfolgen der AfD könne man beobachten, welche Wirkung einfache, prägnante Sprache erziele. Darum müsse die Sprache evangelischer Theologie ähnlich unkompliziert klingen, aber klüger und hassfrei. Das Erstaunliche: Gerade unter Theologinnen und Theologen wird der Vortrag, den Flügge in Gießen gehalten hat, sehr gelobt. Vermutlich spricht der Werbestratege etwas aus, was viele Predigerinnen und Prediger empfinden: Man müsste kraftvoller und wirkungsvoller predigen können. Sich mehr trauen. Mehr gehört werden.
Und die Vorstellung ist ja tatsächlich faszinierend. Fragt sich nur, ob das immer angemessen ist. Klaus Kinski etwa wurde vielleicht beachtet, bewundert und gefürchtet. Viele bezeichnen ihn aber schlicht als Psychopathen, launisch und gewalttätig. Das kann nun nicht die Zukunft der evangelischen Predigt sein.
Sicher wird deutlich, was Erik Flügge protestantischen Predigern ins Stammbuch schreibt, wenn er dazu aufruft: „Werden Sie einfacher. Werden Sie kürzer. Werden Sie Luther!“ Da ist gewiss nichts gegen zu sagen.
Was der Autor jedoch übersieht: Neue Gedanken und Worte, die zu Herzen gehen, können auch leise daherkommen. Oft berühren gerade seelsorgerliche Predigten. Auch sie können aufrütteln, trösten, anspornen.