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Keine Angst vor Stammtischparolen

Gespräch mit einer Fachfrau von der Diakonie über Möglichkeiten und Grenzen von Argumentationstrainings

Was tun, wenn Nachbarn Flüchtlinge als Terroristen beschimpfen und Kollegen lautstark vor der „Islamisierung Deutschlands“ warnen? Immer häufiger stoßen Mitarbeitende in ihrem privaten Umfeld auf rechte Stammtischparolen – und fühlen sich hilflos. Die Leiterin der Freiwilligen-Agentur der Diakonie An Sieg und Rhein, Birgit Binte-Wingen, bietet gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Trainings an. Sabine Damaschke hat mit ihr gesprochen.

Seit dem vergangenen Jahr schulen Sie Ehrenamtliche in Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen. Was gab den Anstoß für die Seminare?
Die Übergriffe von Flüchtlingen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht und die anschließende mediale Debatte haben sich stark auf die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit ausgewirkt. Es gab danach nicht nur weniger Menschen, die sich engagieren wollten, sondern diejenigen, die es tun, müssen sich seitdem stärker dafür rechtfertigen.
Viele erzählen davon, dass sie plötzlich spöttisch als „Gutmenschen“ bezeichnet werden und im Freundes- oder Kollegenkreis vorwurfsvoll gefragt wird, warum sie sich für „so ein Pack“ einsetzen. Plötzlich ergeben sich auf einer Party Gespräche, in denen vor „Überfremdung“ und der „Ausbeutung des Sozialstaats“, vor „den Ausländern“ und ihrer „kriminellen Energie“ gewarnt wird. Viele fühlen sich davon überrumpelt und wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen.

Was sind denn typische erste Reaktionen auf diese Stammtischparolen?
Es gibt eine große Hilflosigkeit gegenüber den Pauschalierungen. Manche wissen nicht, was sie sagen sollen und schweigen daher. Wer direkt auf die Stammtischparolen eingeht, erlebt dagegen oft einen aufreibenden und stark emotionalisierten Schlagabtausch der Argumente. Viele haben das Gefühl, dass diese nicht ernst genommen werden und fühlen sich persönlich angegriffen. Nach dem Gespräch fragen sie sich, warum sie ihr Gegenüber nicht überzeugen konnten. Doch genau das ist meist sehr schwierig.

Wäre es also tatsächlich besser zu schweigen?
Nein, Stellung zu beziehen ist wichtig, sonst wird das Schweigen als Zustimmung gewertet. Es ist schwierig, von den Parolen weg in ein Gespräch zu kommen und jemanden zu überzeugen, aber eine langfristige Wirkung ist nicht ausgeschlossen. Gespräche können weit über ihr Ende hinaus eine Wirkung haben. Außerdem ist gut möglich, dass in der Sache unsichere Zuhörer, die am Gespräch teilnehmen, einen anderen Blick auf die Problematik bekommen. Doch es ist auch wichtig für das eigene Selbstvertrauen, Position zu beziehen.
nn Inwiefern?
Wir sollten uns unserer eigenen Werte und inneren Haltung bewusst sein. Mit welchen Vorurteilen gehen wir selbst durch die Welt? In jedem Training beginnen wir mit genau dieser Reflexion. Jeder Mensch hat Vorurteile, denn das „Schubladendenken“ hilft uns, die vielfältigen Eindrücke, die wir täglich wahrnehmen, zunächst zu sortieren. Wer sich dann aber mit den Vorurteilen auseinandergesetzt hat und seine eigene Haltung hinterfragt, wird selbstbewusster. Ich kann ja nur dann argumentieren, wenn ich auch hinter meinen Argumenten stehe.

Kann man das überhaupt in einem Training lernen?
Ein Seminartag reicht dafür sicher nicht. Aber es ist ein erster Anstoß. Viele Teilnehmer erhoffen sich konkrete Tipps, wie sie argumentieren sollen. Aber wir können keine To-do-Liste abarbeiten. Sie müssen im Alltag üben, einen festen Standpunkt einzunehmen und Haltung zu zeigen. Je sicherer ich in meiner Meinung bin, desto ruhiger kann ich auftreten.
Statt sofort in einen Schlagabtausch zu gehen, ist es zum Beispiel gut, Fragen zu stellen. Oftmals stecken hinter den Parolen ja Ängste um die eigene Existenz. Mit Fragen baue ich Brücken statt zu eskalieren. Etwa, indem ich wissen möchte, woher jemand seine Informationen hat, was genau er damit meint, wenn er sagt, die Flüchtlinge würden den Sozialstaat ausbeuten oder welche Erfahrungen er persönlich mit Migranten gemacht hat.

Welche Rolle spielen Belege, Daten und Fakten dabei?
Auch sie sind wichtig, um das Gespräch auf einer sachlichen Ebene zu führen. Doch die Fakten kennen viele Ehrenamtliche aus der Flüchtlingsarbeit ja. Sie können oft sogar mit Zahlen belegen, dass Flüchtlinge nicht „alles in den Hintern geschoben bekommen“ oder häufiger in der Kriminalstatistik auftauchen als Deutsche. Trotzdem sind nicht alle Menschen empfänglich für echte Daten und Fakten und man gerät in den bereits beschriebenen „Schlagabtausch“.
Wenn mein Gegenüber nur mit Parolen argumentiert und selbst nach Fragen zu seinen persönlichen Gründen für diese Parolen nicht gesprächsbereit ist, dann ist es in Ordnung, eine Debatte abzubrechen. Das fällt vielen Teilnehmern jedoch schwer, weil sie auch „überzeugen“ wollen.

Spielen Sie die Diskussionen in den Trainings nach?
Wir sammeln zunächst die Vorurteile, mit denen wir täglich konfrontiert sind. Dann erzählen die Teilnehmer von rechtspopulistischen Sprüchen oder Diskussionen in ihrem Alltag. Diese spielen wir in der Gruppe nach und überlegen, welche Reaktionen sinnvoll sind. Dabei geht es meist darum, aus der Rechtfertigung und einem emotional aufgeheizten Schlagabtausch herauszukommen.
Nach dem Seminar sagt niemand, dass er nun für alle Debatten gerüstet ist. Aber er hat seine eigene Rolle reflektiert, einige Anhaltspunkte für die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus bekommen und ist hoffentlich mutiger geworden, selbstbewusst Stellung zu beziehen.