Seit Einführung des nordrhein-westfälischen Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) vor sieben Jahren haben Kirche und Diakonie das komplizierte und nicht ausreichende Finanzierungssystem für die Kitas kritisiert. Jetzt fließen rund 430 Millionen Euro zusätzlich. Zudem soll ein neues Gesetz mit einer anderen Finanzierungsstruktur erarbeitet werden. Helga Siemens-Weibring, Geschäftsbereichsleiterin Familie, Bildung und Erziehung bei der Diakonie RWL, erklärt, warum das dringend notwendig ist. Die Fragen stellte Sabine Damaschke.
• Hat die Landesregierung den Trägern nun ein großzügiges Weihnachtsgeschenk gemacht?
In jedem Fall freuen wir uns sehr darüber, dass die Kindertagesstätten mehr Geld bekommen. Dafür haben wir gemeinsam mit den drei Landeskirchen, unseren Fachverbänden und der Freien Wohlfahrtspflege lange gekämpft. Schließlich befinden sich viele unserer rund 1600 Kitas in echten Finanznöten. Allerdings sind 430 Millionen Euro kein so großzügiges Geschenk, wie man auf den ersten Blick annehmen kann. Schließlich haben wir in Nordrhein-Westfalen etwa 9500 Kitas mit über 570 000 Plätzen. Mit dem Geld sollen zudem rund 8000 zusätzliche Plätze für Kinder über drei Jahren, insbesondere für die vielen Flüchtlingskinder, finanziert werden.
• Für viele Kitas ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, die steigenden Personalkosten zu tragen. Lässt sich dieses Problem mit dem neuen Investitionspaket lösen?
Um die jährlich steigenden Personalkosten ausgleichen zu können, hatten wir eine Erhöhung der sogenannten Kindpauschalen um etwa sieben Prozent gefordert. Außerdem sollte die jährliche Erhöhung der Pauschale an die Lohnkostensteigerung angepasst werden. Das Land hebt diese Dynamisierung der Pauschale nun bis 2018 auf drei Prozent an und gibt uns rund 3,5 Prozent mehr in die Pauschalen. Das ist weniger als wir erhofft hatten, aber es hilft uns natürlich. Und wir verstehen es auch als ein Zeichen der Wertschätzung für unsere Arbeit als freie Träger.
Sehr erfreulich ist dabei, dass die Kommunen sich an der Finanzierung beteiligen. Das hatten sie bislang mit Hinweis auf das sogenannte Konnexitätsprinzip abgelehnt. Es verpflichtet die Länder, für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen, wenn es den Kommunen Aufgaben überträgt, die zu einer wesentlichen Mehrbelastung führen.
• Die Landesregierung hat betont, die zusätzlichen 430 Millionen Euro seien nur als „überbrückende Hilfe“ bis zum Jahr 2018 gedacht. Dann soll ein neues Gesetz mit einer anderen Finanzierungsstruktur kommen.
Dass sich Land und Kommunen nun gemeinsam auf den Weg machen, ein neues Gesetz zu erarbeiten, ist für uns ein echtes Weihnachtsgeschenk. Wir haben das Kinderbildungsgesetz von Anfang an als Verwaltungsmonster kritisiert. Diese ganze Finanzierung über Kindpauschalen und Betreuungsstunden stellt alle Kitas vor große Probleme. Sobald zum Beispiel zwei Kinder die Einrichtung verlassen und sich die Betreuungszeiten ändern, muss die ganze Finanzierung neu berechnet werden. Es ist dringend erforderlich, ein finanziell besser kalkulierbares System zu schaffen.
• Wie dramatisch ist die Situation in den evangelischen Kitas?
Da das KiBiz einen derart hohen Verwaltungsaufwand erfordert, sollten die Leitungen vom Alltagsgeschäft, etwa der Leitung einer Kitagruppe, freigestellt sein. Doch das können sich die meisten evangelischen Kindertagesstätten nicht mehr leisten. Es gibt auch kaum noch Spielraum für Fortbildungen. Das Personal in unseren Kitas ist hochengagiert, aber mittlerweile am Limit der Belastbarkeit. Eltern engagieren sich in Fördervereinen. Möbel oder Spielgeräte werden mit Spenden finanziert – Stellen für junge Leute, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen, sind zum Teil ebenfalls spendenfinanziert. Die meisten evangelischen Kitas haben keinerlei finanziellen Spielraum mehr.
• Die Millionen, die aus frei gewordenen Bundesmitteln für das Betreuungsgeld stammen, sollen auch dazu verwendet werden, neue Plätze für die vielen Flüchtlingskinder zu schaffen. Wie stark werden dabei die evangelischen Einrichtungen nachgefragt?
Das ist tatsächlich dringend nötig. Eine Umfrage unter unseren Einrichtungen hat ergeben, dass es insbesondere im Ruhrgebiet schon zu Überbelegungen gekommen ist. Da die Eltern als Flüchtlinge ja keine Beiträge zahlen, ist das ein zusätzliches Problem für die ohnehin prekäre finanzielle Situation in den Kommunen. Noch sind längst nicht alle Kinder von Asylbewerbern, die ein Recht auf einen Kitaplatz haben, in den Kindertagesstätten. Wir werden sicher noch viel mehr als die rund 8000 neuen Plätze brauchen, die die Landesregierung nun einplant.