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Kein Frieden ohne die Religionen

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller will Religionen verstärkt als Bündnispartner in Krisenregionen gewinnen. Er setzt auf die gemäßigten Vertreter der Glaubensgemeinschaften, die häufig mehr Vertrauen besitzen als staatliche Institutionen

epd

Der Entwicklungsminister der Bundsregierung, Gerd Müller (CSU), fühlt sich dem „Weltethos“-Projekt des Theologen Hans Küng verbunden. Seine Entwicklungspolitik ist von Küngs Idee beeinflusst, einen Konsens der Religionen in Wertefragen zu erzielen. Eine neue Strategie seines Ministeriums sieht nun eine systematischere Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften in den Partnerländern vor. „Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen“, zitiert Müller Küng in der Einleitung eines neuen Strategiepapiers.

Schon Ende März 2015 hatte das Entwicklungsministerium die Broschüre „Die Rolle von Religion in der deutschen Entwicklungspolitik“ veröffentlicht. Gleich auf der zweiten Seite wird Müller darin mit den Worten zitiert: „Religion kann Brücken bauen und Menschen motivieren, sich für Andere und die Umwelt einzusetzen. Dieses Potenzial haben wir viel zu lange vernachlässigt.“ Rund 80 Prozent der Weltbevölkerung fühle sich einer Religion zugehörig. Das werde im teils stark säkularisierten Europa oft vergessen.
Das Strategiepapier ist die gewünschte Fortsetzung dieses Ansatzes. Die deutsche Entwicklungspolitik sei „weltanschaulich neutral – sie ist allerdings nicht Werte-neutral“, schreibt Müller im Vorwort. Die Kraft der Religion könne Menschen zusammenführen, selbst wenn im Namen von Religionen auch viel Leid und Elend über Menschen gebracht worden sei.
Ziel ist es, „moderate religiöse Akteure zu stärken“, wie der Leiter der zuständigen Unterabteilung im Ministerium, Bernhard Felmberg, auf einer Konferenz erklärte. Dort, wo Religion Teil des Problems sei, solle sie Teil der Lösung werden. Der Kontakt mit religiösen Organisationen dürfe nicht allein dem Zufall überlassen werden, betonte Felmberg. Mitarbeiter in der deutschen Entwicklungspolitik und bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sollen daher künftig im Umgang mit Religionsvertretern und verschiedenen Glaubensrichtungen geschult werden.
In vielen Ländern genießen Religionsvertreter teils deutlich mehr Vertrauen als staatliche Institutionen, wie es im Strategiepapier heißt. Daher seien gerade in Notsituationen religiöse Einrichtungen die erste Anlaufstelle. Und die Netzwerke der Religionsgemeinschaften reichten oft weiter als öffentliche Strukturen.
Zugleich benennt das Strategiepapier auch die Ambivalenzen von Religion. Religiöse Autoritäten könnten „Brandlöscher und Brandbeschleuniger“ sein. Auch könne Religion zu Radikalisierung und Intoleranz beitragen. Beide Seiten, die negative und positive, machten jedoch umso deutlicher, wie groß der Einfluss von Religion sei.
Das Ministerium will seine Kooperationspartner gezielt auswählen und die Zusammenarbeit regelmäßig evaluieren. Als Partner kommen laut Strategiepapier religiöse Akteure infrage, die grundsätzlich menschenrechtliche Standards achten und entwicklungsorientiert arbeiten. Zudem sollen sie Kompetenz und organisatorische Fähigkeiten vorweisen können. Auch sollten sie das Vertrauen der lokalen Bevölkerung genießen. Es könnten aber durchaus auch Kritiker "westlicher Werte" sein, heißt es weiter.
Wichtig sei eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, ohne eine bestimmte Religion zu bevorzugen. Auch nicht-religiöse Organisationen sollen weiterhin gleichermaßen einbezogen werden. Manchmal sei es auch zielführend, den „Faktor Religion“ bewusst außen vor zu lassen, heißt es aus dem Ministerium.