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Kampf gegen die Moderne

Vor 150 Jahren berief Papst Pius IX. das Erste Vatikanische Konzil ein. Sein Anliegen: die Kirche im Widerstand gegen liberale Einflüsse zu einen. Das Resultat: das Dogma der Unfehlbarkeit

Es war die bis dahin größte Kirchenversammlung aller Zeiten. Insgesamt 774 der 1050 stimmberechtigten Kardinäle und Bischöfe der Weltkirche nahmen am Ersten Vatikanischen Konzil teil, das am 8. Dezember 1869 eröffnet wurde. Doch schon nach acht Monaten wurde dieses nach römischer Zählung 20. Ökumenische Konzil aufgrund der politischen Wirren auf unbestimmte Zeit vertagt.
Am 29. Juni 1868 kündigte Pius IX. (1846-1878) nach mehrjährigen Geheimsondierungen das Konzil an. Es sollte die katholische Welt zu einer machtvollen Manifestation der Wahrheit versammeln, die kirchliche Disziplin den veränderten Zeitverhältnissen anpassen und angesichts der antimodernen „Irrtümer der Zeit“ die kirchliche Lehre neu bekräftigen.
Bereits 1864 hatte Pius IX., der sich nach einem liberalen Beginn seines Pontifikats zunehmend von der Welt abgrenzte, im sogenann-ten Syllabus errorum 80 angebliche Irrtümer zusammengefasst und verurteilt; dazu zählte er unter anderem Rede- und Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche.
Schon vor dem Konzil spitzten sich die Spannungen zu, als publik wurde, bei der Kirchenversammlung solle die Unfehlbarkeit des Papstes verkündet werden, notfalls durch Akklamation ohne formale Abstimmung.
Das Konzil tagte im rechten Querhaus des Petersdoms, das durch eine bemalte, Marmor vortäuschende Holz­wand abgetrennt war. Die Akustik war miserabel. Praktisch nur die jüngeren Konzilsväter konnten den meist in schleppendem Kirchenlatein vorgetragenen Interventionen problemlos folgen.
Zur Beratung und Abstimmung kamen nur zwei von 51 vorbereiteten Dekreten. In seiner dritten Sitzung am 24. April 1870 verabschiedete das Konzil die dogmatische Konstitution „Dei filius“ über den katholischen Glauben. Darin entfaltete es die Lehre von Schöpfung und Glaubensakt sowie das Verhältnis von menschlicher Vernunft und göttlicher Offenbarung. Zugleich verurteilt es Atheismus, Materialismus, Pantheismus, Rationalismus und Traditionalismus. Die Behandlung des zweiten Teils wurde auf Drängen vieler Konzilsväter verschoben.
Denn mit Spannung erwarteten sie die Debatte über den Papstprimat – über den Papst als höchste Rechtsgewalt und als höchste Lehrvollmacht, wenn er Entscheidungen zu Lehr- und Moralfragen „ex cathedra“ als unfehlbar verkündet. Eine beachtliche Minderheit, darunter 15 der 20 deutschen Bischöfe, äußerte Bedenken. Eine solche Definition öffne dem Missbrauch des kirchlichen Lehramts Tür und Tor, lauteten die Einwände.
In der Vorbereitungssitzung stimmten von 601 anwesenden Konzilsvätern 451 mit Ja, 88 mit Nein, und 62 verlangten Änderungen. Nachdem ein letzter Vermittlungsversuch der Kritiker bei Pius IX. gescheitert war, reisten 57 von ihnen vorzeitig ab, um nicht in Anwesenheit des Papstes gegen die Dogmatisierung stimmen zu müssen. So erhielt die Konstitution „Pastor aeternus“ bei der feierlichen Verabschiedung am 18. Juli 1870 lediglich zwei Gegenstimmen.
Während der Sitzung ging ein schreckliches Unwetter mit Blitz und Donner über Rom nieder. In der Basilika war es trotz des Julitags so dunkel geworden, dass nur mit Hilfe von Kerzenleuchtern der Text verlesen werden konnte. Die Kardinäle und Bischöfe waren durchnässt, der Boden der Aula lehmverschmiert. Ein Tag später, am 19. Juli 1870, begann der deutsch-französische Krieg. Die meisten Bischöfe reisten ab, das Konzil wurde unterbrochen. Genau einen Monat später vertagte Pius IX. schließlich das Konzil „sine die“ – auf unbestimmte Zeit.
Nacheinander akzeptierten die kritischen deutschen Bischöfe die Entscheidung des Konzils. Das Papsttum ging aus dem Konzil letztlich gestärkt hervor. Rom wurde mehr und mehr zum Zentrum der Weltkirche.
Dem Konzilsentscheid folgte aber auch ein Exodus zahlreicher Intellektueller. Aus der Protesthaltung bildete sich im deutschsprachigen Raum die Altkatholische Kirche; Reichskanzler Otto von Bismarck schwächte im sogenannten Kulturkampf den Einfluss der katholischen Kirche im Deutschen Kaiserreich, indem er unter anderem die Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht einführte. Geistliche, die den „öffentlichen Frieden“ störten, wurden inhaftiert. Erst ab 1878 gingen die beiden Lager wieder aufeinander zu.
Übrigens hat nur ein Papst bislang von einer Ex-cathedra-Entscheidung Gebrauch gemacht: Pius XII., als er 1950 das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündete.