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Jupp Heynckes zum 80. – Stürmer-Idol, Trainer-Idol, Mensch

Er hat restlos alles gewonnen im Fußball – und das meiste gesehen. Und doch ist “Don Jupp” auf sehr wohltuende Weise immer ein bisschen das geblieben, was er war: ein grundehrlicher Bauernsohn vom Niederrhein.

“Netzer, Vogts und Heynckes Jupp / holen den Europa-Kupp!!” So schrien sich die rund 27.500 Borussen-Fans die Seele aus dem Hals. Wohl an die 100.000 Karten hätten die Fohlen vom Niederrhein für diesen 20. Oktober 1971 verkaufen können, wie Manager Helmut Grashoff später beklagte. Doch: Der Bökelberg in Mönchengladbach war schlicht zu klein für jenes Epos der Fußball-Geschichte.

Zweimal hintereinander war die Borussia 1970/71 sensationell Deutscher Meister geworden mit dem begeisternden Angriffsfußball des schratig-kernigen Trainers Hennes Weisweiler aus Erftstadt. Und doch empfanden die meisten Kommentatoren Mönchengladbach immer noch als einen ziemlich winzigen Provinz-Klub, als im europäischen Landesmeister-Wettbewerb (heute: Champions League) die volle Kapelle italienischer Weltstars anreiste: Inter Mailand, vom Gehalt her im 10- bis 30-fachen Bereich der Gladbacher unterwegs.

Die Gladbacher “Fohlen” fühlten sich beim Einzug im Spiel ihres Lebens; und das wurde es tatsächlich: das beste Spiel der Vereinsgeschichte! In der 7. Minute schoss Stürmer Jupp Heynckes eiskalt das 1:0; später noch das 5:1 plus eine anspruchsvolle Ablage (heute: Assist) zum 6:1 für Regisseur Günter Netzer. 7:1 hieß es am Ende. Milano pulverisiert – doch für gar nichts: Das Sportgericht kassierte den Kantersieg Davids gegen Goliath wegen eines (bis heute nicht aufgeklärten) Büchsenwurfs auf Inter-Star Roberto Boninsegna. Im Wiederholungsspiel schied Mönchengladbach mit einem schnöden 0:0 klanglos aus.

Diese bitterste aller möglichen Niederlagen wirkt bis heute nach im kollektiven Bewusstsein. Dennoch war sie immer noch nur der Beginn einer Goldenen Epoche der Borussia in den 70er Jahren: fünf Deutsche Meisterschaften, DFB-Pokalsieger, UEFA-Pokal (heute: Europa League) 1975 und 1979. Immer mittendrin: Jupp Heynckes, der an diesem Freitag (9. Mai) 80 Jahre alt wird.

Seine Zeitgenossen bezeugen: Als Spieler wollte er immer nur das eine: Tore, Tore, Tore. 220 insgesamt, selbst in seinem allerletzten von 369 Bundesligaspielen. Beim 12:0 gegen Borussia Dortmund am letzten Spieltag 1978 traf er fünfmal; ebenso beim 11:0 der Fohlen im Januar 1967 gegen Schalke.

1945, exakt am Tag nach dem Kriegsende als neuntes von zehn Kindern einer Bauernfamilie vom Niederrhein geboren, war Heynckes’ Antrieb ein schier grenzenloser Ehrgeiz. Wurde er sportlich irgendwie gebremst, so berichtete Gladbachs Torwart Wolfgang Kleff später, dann schloss sich Heynckes frustriert ein – nur um am Ende gestärkt wieder herauszukommen.

1964 – Gladbach war noch gar nicht aufgestiegen in die junge Bundesliga – war Trainer Weisweiler fassungslos, wie dieses 19-jährige Tormonster Heynckes noch keinen Vertrag haben konnte; er bekam einen. Und Heynckes traf und traf und traf. Günther Netzer nannte ihn später einen der genialsten deutschen Fußballer ever: laufstark, kopfballstark, beidfüßig, schnell und wuchtig. Und dazu dieser unbändige Zug zum Tor.

1968 wechselte Heynckes, wegen des Geldes, für zwei Jahre zu Hannover 96. Das hat ihm der treue – und offenbar noch eingeschworene – Niederrheiner Berti Vogts niemals verziehen. Der Rechtsverteidiger und “Terrier” soll sogar gegen Heynckes’ Rückkehr 1970 opponiert haben. Fans mögen meinen: zum Glück vergeblich. Denn: Nun begannen für die “Fohlen” von Borussia Mönchengladbach und für Heynckes erst die “Goldenen Jahre”.

Mit Gladbach alles! – doch mit der Nationalmannschaft gab es Abstriche. Zwar wurde Heynckes 1972 Europa- und 1974 Weltmeister im eigenen Land; doch an Gerd Müller vom Dauerrivalen FC Bayern kam er nicht vorbei. Gemeinsam wurden die beiden 1974 mit je 30 Toren Bundesliga-Torschützenkönige; doch brachte es Heynckes dann bei der WM nur zur zwei Vorrunden-Einsätzen – während es später gegen Jugoslawien, Polen und Holland müllerte bis zum WM-Pokal. Netzer erlebte eine parallele Niederlage gegen den Kölner Wolfgang Overath.

Mit 33 Jahren nahm die Gladbacher Vereinsführung 1978 ihren noch topfitten Superstürmer auf immer vom Platz. Der genetische Torjäger sollte unter dem sehr zielstrebigen, wenn auch wenig inspirierten Cheftrainer Udo Lattek (1935-2015) lernen und ihm künftig – ehrgeizig natürlich – nachfolgen. Das tat Heynckes, auf gleich mehreren von Latteks erfolgreichen Trainerstationen: Gladbach, Bayern München – aber nicht Barcelona.

Im Gegenteil: Beim Erzrivalen Real Madrid, zuvor in Bilbao und Teneriffa und später bei Benfica Lissabon, wird der bodenständige Niederrheiner zum Weltbürger: “Don Jupp”… Auch als Trainer sammelte er Pokale um Pokale, war allein viermal Bayern-Coach und holte mit den Münchnern vier deutsche Meisterschaften und 2013 das Triple; dazu 1998 die Champions League mit Real Madrid. Wo immer Josef Heynckes in seiner langen Stürmer- und Trainerlaufbahn gewesen ist: Außer Berti Vogts hegt wohl kaum noch jemand Groll gegen den skandalfreien, geradlinigen Bauernsohn vom Niederrhein.