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Jauchzen und frohlocken

Im Chor singen unter Corona-Bedingungen in der Adventszeit – Geht das überhaupt?

Von Ingrid Kasper

„Jauchzet, frohlocket!“, „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“, „Freut euch, ihr Christen, freuet euch sehr!“, „Go, tell it on the mountain!“, so schallte es mit „herrlichen Chören“, festlichen Bläserklängen, mit leuchtenden Augen der Kinder und fetzigen Sounds im Advent vor zwei Jahren aus unseren Kirchen in die Welt. Gerade mit Advents- und Weihnachtsliedern und der festlichen Kirchen­musik lassen sich die Menschen gerne auf das Fest der Liebe einstimmen und die ­Weihnachtsbotschaft erreicht viele Herzen in Gottesdiensten und Konzerten. Gleichzeitig sind Advents- und Weihnachtslieder durch alle Generationen ein verbindender wertvoller Liedschatz, der in Kindertagesstätten, Schulen, diakonischen Einrichtungen und ­Seniorenheimen regelmäßig gepflegt wird. 

Ein schöner Nebeneffekt ist, dass durch aktives Singen – vor allem bei gemeinsamem Wirken im Chor – das Immunsystem und der Kreislauf gestärkt sowie Glückshormone freigesetzt werden, wie mehrere Studien belegen. Gerade in der „kalten“ Jahreszeit ist also das gemeinsame Singen eine durchaus empfehlenswerte Freizeitbeschäftigung, die dem ­seelischen und körperlichen Gleichgewicht zu Gute kommt. 

Dass sich nun gerade über die Aerosole, die beim Singen produziert werden, das Corona-Virus hochansteckend ausbreiten kann, ließ den Chorgesang, den Gemeindegesang und das gemeinsame Musizieren zunächst verstummen. Immer wieder neue Regelungen erforderten neue Konzepte, die, gerade ausgearbeitet, wieder unzulässig waren. Abstandsregelungen, Kontaktbeschränkungen und ­Hygienevorschriften führten bei den einen zum trotzigen Auskosten aller Möglichkeiten, bei anderen zum resignierten Rückzug. Ganz still wurde es aber in der Kirchenmusik zu ­keinem Zeitpunkt. 

Im Lockdown wurde aus Fenstern und von Balkonen im Freien musiziert, aus zwei Haushalten möglichst mehrstimmige Ensembles zusammengestellt, virtuelle Chöre fanden sich im Internet zusammen. Berufsmusiker*-innen und Kantor*innen sangen stellvertretend für Chöre und Gemeinden, Konzerte wurden gestreamt und über Gottesdienstübertragungen kam auch die Kirchenmusik in die Häuser.  Sogar Proben konnten bald im ­digitalen Raum stattfinden. Die jeweiligen Programme Zoom und Jamulus bergen in sich entweder das Problem, nur in Einzelstimmen und eben nicht chorisch singen zu können oder keinen Sichtkontakt zur Chorleitung oder den anderen Choristen zu haben. 

Die andere Möglichkeit waren Präsenzproben in Kleinstgruppen mit den erlaubten Kontaktzahlen, im Freien oder großen gelüfteten Räumen auf Abstand. Mit der gemeinschaft­lichen Chorarbeit, die vor Ausbruch der Pandemie möglich war, hat dies nicht mehr viel zu tun, vor allem, weil das jeweilige Angebot immer nur von einem Bruchteil der Chorgemeinschaft genutzt werden kann. Mehr noch, zwei Generationen sind von diesen Angeboten fast vollständig ausgeschlossen: unsere Kinder und Senioren. Die ältere Generation kann die neuen Probenformate nicht nutzen, weil der Umgang mit digitalen Medien nicht eingeübt ist oder digitale Endgeräte gar nicht vorhanden sind oder zur Verfügung stehen. Manche Kinder singen seit zwei Jahren in unseren ­Kinderchören und haben noch nie eine ­Aufführung erleben dürfen.

Zaghaft hoffend, dass die Sehnsucht nach gemeinsamem Singen und kleinen Konzerten im Advent 2021 gestillt werden kann, wurde nun so viel Schönes geprobt, erarbeitet und geplant. 

Jetzt wird es doch wieder eine „stille(re) Nacht“, in der unsere Lieder leiser, vielleicht mehr nach innen gerichtet, sein werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch dieses Jahr Kirchenmusik durch Bläser*innen unter freiem Himmel, im digitalen Raum, bei Rundfunk- und Fernsehübertragungen, in kleinen Besetzungen in unseren Kirchen und Einrichtungen und vor allem auch im Freundes- und Familienkreis erklingen wird. 

Mögen die Mutigen nicht wagemutig werden, sondern tatkräftig und die Zweifler, nicht verzweifelt werden, sondern hoffnungsvoll. Dann können wir sicher sein, dass unser Singen und Musizieren durch die große Strahlkraft der Kirchenmusik ihre Wege in viele Herzen finden wird und wir in naher Zukunft wieder mit herrlichen Chören „jauchzen und frohlocken“. Eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Ingrid Kaspar ist Dekanatskantorin und ­Kirchenmusikdirektorin in ­Bamberg. Außerdem gehört sie der Bayerischen Landessynode sowie der  VELKD- und der EKD-Synode an. Sie ist Vorsitzende des „Gottesdienstausschusses“ der Verei­­­nigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).