In seinem Ende ist sein wahrer Anfang, so könnte man das offene Geheimnis Christi beschreiben. Sein Ende war nicht nur sein Tod am Römerkreuz, sondern auch seine Gottesfinsternis: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“?
Am Karfreitag nehmen wir an seinen Schmerzen teil: „O Haupt voll Blut und Wunden…“ Denn er erleidet auch unsere Wunden und Schmerzen – verratene Freundschaft, verleugnete Liebe und die Verlassenheit vor der Übermacht von Gewalt, Sünde und Tod.
Am Ostermorgen sehen wir den Gekreuzigten im Glanz der göttlichen Herrlichkeit – wie einen Sonnenaufgang über dieser gewalttätigen Welt. Sein Ende ist zu Ende – der neue Anfang ist da, und es ist der Anfang eines neuen Lebens, das kein Tod mehr töten kann. Der Karfreitagsschmerz verwandelt sich in Osterlachen.
Das „Osterlachen“ ist eine mittelalterliche Tradition: In den Osterpredigten wurden die Leute durch witzige Bemerkungen zum Lachen gereizt, um sie zu erfreuen. Aber das ist nur die Oberfläche. Das wahre Osterlachen ist das Lachen der Bedrückten: Sie lachen die Gewalttätigen, die Sünden, die Hölle und den Tod aus. „Die Höll‘ und ihre Rotten, die kürmmen mir kein Haar. Der Sünden kann ich spotten, bleib allzeit ohn‘ Gefahr … Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn, sie zürnt und kann nichts machen“, dichtete Paul Gerhardt 1648 (Evangelisches Gesangbuch 112, 4.5).
Das befreite Lachen der Ohmächtigen über die Gewalthaber, das sich in Daktaturen in politischen Witzen Luft macht, ist ein Echo auf den „lachenden Gott“: Die Könige der Erde lehnen sich auf, aber der im Himmel wohnt, lacht ihrer und der Herr spottet ihrer“, heißt es in Psalm 2,4. Lachen zeigt Freiheit von Angst und Schuld und den Mut zum neuen Anfang des Lebens.
Manchmal kommen die neuen Anfänge ganz klein und leise daher, und wir merken sie erst hinterher; machmal kommen sie als Wende eines ganzen Lebens. Aber sie sind immer das Aufstehen im Leben. Ich erinnere mich an das ersten Gefangenenlager im Februar 1945 in Belgien: 200 Mann in einer Baracke, dreistöckige Pritschen, zwei Kübel für die Notdurft. Und in der Nacht terrorisierten Nazi-Schergen die Zweifler am „Endsieg“.
Meine Sinne erstarben, ich wollte nichts mehr sehen und hören, riechen oder schmecken. Meine Gefühle verschwanden hinter einem Panzer aus Unberührbarkeit und Gleichgültigkeit. Ich spürte die Gefangenschaft nicht mehr, weil ich nichts mehr spürte.
Im Mai 1945 mussten wir einen Güterwagen aus dem Lager schieben, und plötzlich stand da ein überschwänglich blühender Kirschbaum. Die Fülle des Lebens sah mich an. Mir wurden die Knie weich und ich fühlte, wie das Leben in mir wieder wach wurde. Ich sah die Farben der Blüten, und das Blut pulsierte wieder in meinen Adern. Das war ein leiser Lebensanfang für mich, und die Schmerzen waren die Lebenszeichen.
Im Sommer 1946 war ich in einem Arbeitslager in Schottland und hatte keine Aussicht auf Entlassung. Ich fühlte mich von Gott und allen guten Geistern verlassen. Da bekam ich eine Bibel in die Hand und fand in den Klagepsalmen Worte für mein Elend. Die Passionsgeschichte Jesu sprach zu mir. Ich fühlte, da ist einer, der dich versteht, der deine Verlassenheit und noch viel mehr durchgemacht hat. Ich vertraute mein Leben Christus an und wurde zuversichtlich, dass er mich mitnimmt in seine Auferstehung und sein Reich.
Das war eine Lebenswende, die ich nicht gesucht hatte. Was am Anfang wie ein Fluch aussah – die Gefangenschaft –, erwies sich als ein Segen. Ich kam hinein mit verletzter Seele. Und als ich entlassen wurde, war meine Seele genesen.
Das habe ich in meinem Leben gelernt: Eingedenk des Endes und des Anfangs Christi geben wir uns nicht auf, sondern erwarten, dass auch für uns in jedem Ende ein neuer Anfang steckt. In jedem Nein Gottes liegt ein heimliches Ja Gottes verborgen.
Wir werden zu neuen Anfängen fähig, wenn wir bereit sind loszulassen – nicht nur, was uns lieb und teuer ist, sondern auch loszulassen, was uns quält. Wenn wir den neuen Anfang suchen, wird er uns finden. Und dann wird „unser Mund voll Lachens“ sein.
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In jedem Ende wohnt ein Anfang
Kein Neuanfang ist leicht zu haben. Und doch kann auch in der Not der Keim für etwas Neues stecken. Der Theologe Jürgen Moltmann hat einen „leisen Lebensanfang“ erlebt

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