Es ist schummrig im Schloss Hohentübingen. Denn nicht nur Konserven oder Medikamente sollten kühl und dunkel gelagert werden. Auch wertvolle „Drucksachen“ – wie die neueste Ausstellung im Museum der Universität Tübingen heißt – verlangen besondere Vorsicht.
„Drucke wie dieser haben eigentlich nur überlebt, wenn sie in ein Buch eingeklebt wurden“, sagt Andrea Worm. Die Professorin für Kunstgeschichte zeigt auf ein eingerahmtes Bild vom Grabtuch Jesu, angefertigt um 1482 in Ulm. Das Bild in braunen, roten und grünen Farben, das mit zwölf Zeilen lateinischem Text versehen ist, erregt nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Doch das „Heilige Antlitz Christi“ zeugt von einer Erfindung, die die Welt verändern sollte: die Druckerei.
Nachdem Johannes Gutenberg 1450 den Druck mit beweglichen metallenen Lettern erfand, dauerte es keine 50 Jahre, bis die neue Technologie in ganz Europa eingesetzt wurde. Drucke aus dieser Zeit werden heute als Inkunablen bezeichnet. Sie liefern der Forschung Entscheidendes über „das Wissen und die Interessensgebiete ihrer Zeit“, sagt Worm, die mit zwei Kolleginnen die Artefakte untersucht hat. Inhaltliche Regulationen für den Buchmarkt habe es damals praktisch noch nicht gegeben. Selbst jüdische Bücher wurden gedruckt – und zwar von christlichen Druckern.
Leider war die Wertschätzung für die Inkunablen nicht immer so groß wie heute. Jedenfalls hätte der Tübinger Bibliothekar wohl keinen Stempel auf der Vorderseite des „Heiligen Antlitz Christi“ hinterlassen, wäre ihm klar gewesen, dass er das bis heute einzig bekannte Exemplar in seinen Händen hielt.
Obwohl die frühen Drucksachen in hundertfacher Ausführung hergestellt wurden, variieren sie mit ihrem Einband, der Farbgebung und anderen Verzierungen sehr. Laut Andrea Worm verließen sie die Druckereien nämlich als „Halbfertigprodukte“. Über die finale Gestaltung entschied der Käufer dann selbst. „Ein Handwerker konnte sich das wohl eher nicht leisten, aber jemand, der als Kaufmann in der Stadt aktiv war, schon.“
Ein besonderer Hingucker der Ausstellung ist Bernhard von Breydenbachs „Pilgerreise ins heilige Land“. Mit zahlreichen Holzschnitten hält das Buch seine Reiseetappen von Venedig bis Jerusalem fest. Gleich die erste Abbildung erstreckt sich aufgefaltet über ganze 1,62 Meter. „Die Entdeckung des Raums spielte damals natürlich eine ganz große Rolle“, meint die Expertin. Die Vervielfältigung von Schemata und Landkarten sei deshalb ein wichtiger Schritt für die vormoderne Welt gewesen.
Und noch etwas fällt den Besuchern auf: Kaum ein Buch kommt ohne religiöse Bezüge aus. Geschichte sei im damaligen Verständnis immer Heilsgeschichte, erklärt Worm, also ein Ablauf nach dem Willen Gottes. Da ist es nur folgerichtig, dass sich die Bücher mit „der Frage nach dem guten Leben“ und beschäftigten und „zur Nachfolge anregen“ wollten.