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In der Krise wenden sich die Kubaner der Kirche zu

Die Karibikinsel Kuba wird von anhaltenden Versorgungsengpässen und einem Massenexodus erschüttert. Die katholische Kirche wird zu einer wichtigen Anlaufstelle.

Es sind ungewöhnliche Bilder aus Kuba. Zu Ehren der Schutzpatronin der Insel, der barmherzigen Jungfrau von Cobre, strömten vor wenigen Tagen die Gläubigen in die Kirchen. Das regierungskritische Portal “14ymedio” zeigte Bilder von vollen Kirchenbänken und gut besuchten Prozessionen anlässlich des Gedenktags der Schutzpatronin am 8. September.

Das von Exil-Kubanern betriebene Radio Marti berichtete zu Wochenbeginn: “Immer mehr Kubaner strömen zur Virgen de la Caridad”. Zitiert wird auch Erzbischof Dionisio Garcia Ibanez von Santiago de Cuba: “Ich glaube, dass die Menschen auf der Suche nach Gott sind.” Das kubanische Volk habe das Gefühl, sich an Gott wenden zu müssen.

Die Hinwendung der Bevölkerung zur katholischen Kirche fällt mit einer schweren innenpolitischen und wirtschaftlichen Krise zusammen. Unabhängige Medien berichten über gravierende Versorgungsprobleme und zunehmende Repressionen. Im Jahr 2021 hatten umfangreiche Sozialproteste zu Massenverhaftungen geführt; die Zahl der politischen Gefangenen stieg auf über 1.000. Das wiederum führte zu einem Massenexodus; Hunderttausende Kubaner verließen die Insel. Ihr Sehnsuchtsort: Miami, eine Art Hauptstadt der Exilkubaner in den USA.

Kuba hat innerhalb von drei Jahren laut Schätzungen knapp fünf Prozent der Bevölkerung verloren. Es gehen vor allem die jungen Kubanerinnen und Kubaner, die nach der restriktiven Niederschlagung der Sozialproteste die Hoffnung verloren haben, in dem Ein-Parteien-System etwas verändern zu können. Andere suchen – ähnlich wie zu Zeiten der kommunistischen Regime in Osteuropa – Zuflucht im Glauben und in der Kirche.

Auch in Miami ist die barmherzige Jungfrau von Cobre überall sichtbar. Im Stadtviertel “Little Havanna” gibt es Wandmalereien, die sie als Schutzpatronin der vielen Boots- und Floßflüchtlinge zeigen, die versuchen, über das Meer nach Florida zu gelangen. Künstler haben aus Überresten gestrandeter Flöße in Gedenken an die vielen ertrunkenen Migranten einen Altar für die Schutzpatronin erschaffen. Allein in diesem Jahr sind bislang rund 140 Menschen auf offenem Meer ertrunken oder es fehlt jede Spur von ihnen. Wie viele tausend in den vergangenen Jahren auf der lebensgefährlichen Flucht gestorben sind, darüber gibt es nur Schätzungen.

Die katholische Kirche auf Kuba hat in den vergangenen Jahrzehnten turbulente Zeiten erlebt. Nach der kubanischen Revolution 1959 um Fidel Castro und Che Guevara folgte eine lange Phase der politischen Unterdrückung der Kirche, inklusive der Ausweisung von Geistlichen und Kirchenvertretern, dem Verbot und der Beschlagnahme von kirchlichen Einrichtungen und Vermögen. Damals war die Kirche in der Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar und wurde als konterrevolutionär angesehen.

Später folgte eine Phase der vorsichtigen Annäherung. Papst Johannes Paul II., ein scharfer Kritiker des Kommunismus, besuchte die Insel. Unter Raul Castro folgten Gespräche mit ranghohen Kirchenvertretern, die in der Freilassung von politischen Gefangenen und Vermittlungsgesprächen mit der US-Regierung unter Präsident Barack Obama mündeten.

Seitdem ist die Kirche wieder sichtbarer. Papst Franziskus lobte die Vermittlerrolle Kubas im kolumbianischen Friedensprozess, der 2016 in Havanna zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen dem Staat und der Guerilla-Organisation FARC führte. Zuletzt zeigte sich der populäre brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto bei einem Besuch in Havanna an der Seite von Präsident Miguel Diaz-Canel, dem Nichtregierungsorganisationen schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen.