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In der Kilianskirche hat der Bürger das Sagen

Feuersturm am Abend des 4. Dezember 1944. Englische Bomber greifen die Altstadt von Heilbronn an, mindestens 6.500 Menschen sterben. „Mit Kriegsende war kein Gebäude mehr intakt“, sagt der Leiter des Heilbronner Stadtarchivs, Christhard Schrenk, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Überlebenden verbringen die nächsten Monate in Kellern. Der Angriff haftet bis heute, 80 Jahre danach, tief im Kollektivgedächtnis der Heilbronner Bevölkerung. Schwer zerstört wird bei dem Versuch, die deutsche Bevölkerung zu demoralisieren, auch das Wahrzeichen der Stadt, die evangelische Kilianskirche.

Die gotische Hallenkirche aus dem 11. Jahrhundert weist Besonderheiten auf: Der Westturm gilt als eines der bedeutendsten Renaissance-Bauwerke nördlich der Alpen. Der Altar von Hans Seyfer aus dem Jahr 1498 gilt als Meisterleistung spätgotischer Schnitzkunst.

„Bereits 1939, also zu Beginn des 2. Weltkrieges, wurden wertvolle Objekte aus der Kilianskirche entnommen und in Sicherheit gebracht“, hebt der Historiker die Bedeutung des Gotteshauses hervor. Als alliierte Bomber ab 1943 vermehrt süddeutsche Städte angriffen, veranlasst das damalige Landesdenkmalamt weitere Maßnahmen. Der Seitenflügel des Altars wird im Vorraum der Kirche, genannt „Paradies“, zum Schutz eingemauert.

Die vollplastischen Figuren des Altars werden zusammen mit vielen anderen Kunstwerken im staatlichen Salzbergwerk Kochendorf eingelagert. Als eine von drei evangelischen Kirchen in Württemberg erhält der Dachstuhl der Kilianskirche eine Imprägnierung gegen Feuer. Die anderen beiden Kirchen waren die Stiftskirche in Ulm und die Herrgottskirche in Creglingen.

Doch das Kulturdenkmal ist kaum zu retten. Amerikanische Bomben im September 1944, englische Bomben im Dezember und der Häuserkampf, bei dem sich im April 1945 deutsche und amerikanische Soldaten von beiden Seiten einer Straße beschießen, hinterlassen eine Ruine. „Das Hauptdach war weg, die Seitenschiffdächer waren weg, das Chordach war weg“, bilanziert Schrenk.

Historische Aufnahmen zeigen, dass vom Innern der Kirche der Himmel zu sehen war. Der Wiederaufbau beginnt 1946 und sollte bis in die 1960er Jahre dauern. Die Kilianskirche bekommt in diesem Zug ihre alte Form als gotische Hallenkirche zurück.

Der Westturm erhält eine Sanierung, die Chortürme Kupferhauben und der Kirchturm einen „Landsknecht“ oben auf. Diese Besonderheit macht die Kilianskirche für den Heilbronner Regionalbischof Ralf Albrecht zur „Bürgerkirche“, weil sie die einzige Kirche sei, die auf ihrem Kirchturm kein christliches Symbol habe. Sondern einen „Bürger mit einem Spieß als Symbol der Freiheit“, so der Theologe.

Die Kirche erlaube Kritik an den „Oberen“ und stehe damit für ein urchristliches Motiv, die Obrigkeitskritik, sagt Albrecht. Der Bürger habe hier das Sagen, ist er überzeugt. Schließlich seien auch das Wappen der Stadt Heilbronn und das Wappen des damaligen Bürgermeisters der Stadt neben der Kanzel höher platziert als die Kanzel.

Auch sollen Steine zerstörter Häuser in einer Seite des Chores verbaut sein. Ein Steinmetz habe dazu aufgerufen, brauchbare Steine zerstörter Bürgerhäuser in den Chor zu bringen, beruft sich Albrecht auf Erzählungen. Er ist überzeugt: „In der wieder aufgebauten Kilianskirche sind Bürgerhäuser vertreten.“

Historisch belegt ist das nicht. Schrenk schließt jedoch nicht aus, „dass es so etwas vereinzelt, gegeben haben mag.“ Sicher ist hingegen: von den 4,8 Millionen Mark Gesamtkosten stammen rund 620.000 DM aus Spenden der Bevölkerung.

Bis heute läuten am 4. Dezember um 19:20 Uhr die Glocken, der Weihnachtsmarkt macht Pause, der Posaunenchor spielt zum Gedenken an die Zerstörung von Stadt und Kirche vor 80 Jahren. (270002.12.2024)