Ecuador galt einst als eines der sichersten Länder in Südamerika. Inzwischen haben Kartelle das von Kolumbien und Peru umgrenzte Andenland im Würgegriff. Aufgrund seiner strategisch günstigen Lage zwischen großen Drogenanbaugebieten und dem Pazifikhafen Guayaquil ist es für die Banden hochinteressant. Binnen weniger Jahre ist Ecuador zu einem gewalttätigen Narco-Staat geworden. Die Ermordung von Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio und weiterer Lokalpolitiker vor den Wahlen an diesem Sonntag hat das auf brutale Weise gezeigt.
In den vergangen zwei Jahren verdreifachte sich die Mordrate fast und ist heute höher als in Brasilien oder Mexiko. Trotz der Gewalt und eines verhängten Ausnahmezustandes sind am Sonntag 13,4 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über ein neues Staatsoberhaupt und die 137 Mitglieder der Nationalversammlung abzustimmen.
Sechs Kandidaten im Rennen um das Amt des Staatsoberhauptes
Insgesamt sechs Kandidaten bewerben sich um das Amt des Staatsoberhauptes. In den Umfragen liegt mit rund 25 Prozent Luisa González mit dem Bündnis Revolución Ciudadana vorn. Sie wird vom linkspopulistischen Ex-Präsidenten Rafael Correa (2007 bis 2017) unterstützt. Allerdings müsste sich die 45-jährige Rechtsanwältin laut den derzeitigen Umfragen wohl einer Stichwahl stellen. Nach ecuadorianischem Wahlrecht müssen mindestens 40 Prozent und zehn Prozentpunkte Abstand zum Zweitplatzierten für einen Sieg in der ersten Runde erreicht werden. Mehr als die Hälfte der Wähler zeigte sich in den Umfragen allerdings noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben wollen.
Gonzáles will vor allem gegen die Gewalt im Land vorgehen. „Ecuador erlebt seine blutigste Zeit“, sagte sie. Das Land sei durch „völlige Vernachlässigung durch eine unfähige Regierung“ von kriminellen Banden übernommen worden. Aber auch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind drückend.
Ermordeter Journalist Villavicencio berichtete über Korruption
Abgeschlagen auf den weiteren Plätzen folgten in den Umfragen der ehemalige Vizepräsident Otto Sonnenholzner, der indigene Umweltaktivist Yaku Pérez – und der ermordete Journalist Villavicencio. Für ihn tritt jetzt sein Freund und Kollege Christian Zurita an, wie das Wahlbündnis Construye mitteilte. Beide arbeiteten eng als investigative Journalisten zusammen und haben über die weitverbreitete Korruption berichtet. Sie überführten unter anderem Ex-Staatschef Correa, der inzwischen zu acht Jahren Haft in Abwesenheit verurteilt wurde. Die Justiz wirft Correa vor, ein Korruptionsnetzwerk aufgebaut und Schmiergeldzahlungen angenommen zu haben. Correa bestreitet die Vorwürfe. Inzwischen lebt er in Belgien, wo seine Frau herstammt. Doch politisch zieht er in Ecuador weiter die Strippen. So ist eine der oft wiederholten Aussagen der von ihm unterstützen Kandidatin Gonzáles: „Unter Correa ging es uns besser.“
Die vorgezogenen Wahlen waren nötig geworden, weil Präsident Guillermo Lasso im Frühjahr das Parlament auflösen ließ. Er kam damit einem Abwahlverfahren zuvor. Gegen Lasso wird wegen Veruntreuung ermittelt. Er soll unter anderem von lukrativen Öl-Verträgen profitiert haben.
Albanische Mafia nimmt Einfluss
Lasso, ein ehemaliger Banker und Millionär, setzte sich 2021 knapp in einer Stichwahl durch. Der konservative Politiker genoss zunächst den Rückhalt in der Bevölkerung. Mit der anhaltenden Wirtschaftskrise und steigender Gewalt wurde seine Position aber geschwächt. Mehrmals verhängte er den Ausnahmezustand und setzte die Armee ein, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten.
Doch die Probleme wurden damit nicht gelöst. Die Drogenkartelle, allen voran das mexikanische Sinaloa-Kartell, haben sich ausgebreitet und kämpfen mit lokalen Banden um die Vorherrschaft im Drogengeschäft. Eine Schlüsselrolle nimmt laut Ermittlern die albanische Mafia ein. Deren Mitglieder organisieren den Drogen-Export nach Europa, hauptsächlich in die Niederlande. Laut der UN-Antidrogenbehörde UNDOC ist Ecuador inzwischen wichtigster Umschlagplatz für Kokain nach Europa.