Predigttext
1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir [a]seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 5 Wer ist es aber, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?
Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ Als „Gretchenfrage“ ist dieser bekannte Auszug aus Johann Wolfgang von Goethes Faust sprichwörtlich geworden. Sichtlich unwohl in seiner Haut vermag es Dr. Faustus trotz der kühnsten Rhetorik nicht, Margaretes Frage ehrlich zu beantworten. Ausweichend bekennt er nur: „Wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, nenn es dann, wie du willst: Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür!“. Ob seine angebetete Margarete ihre Frage nach der Religion so verstanden wissen wollte? Oder ob die Frage nicht vielmehr auf dessen Christsein, nach dessen christlichen Grundüberzeugungen zielte?
Christsein –
wie geht das?
Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Mit dem Christentum? Bist du christlich? Und weiter gefragt: Woran erkennt man denn einen Christen? Ja, liebe Leserinnen und Leser von Unsere Kirche, wie geht denn Christsein für Sie?
Am Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts ist das noch junge Christentum in einer Krise. Neben den zahlreichen äußeren Anfeindungen, Schikanen und Bedrohungen gibt es immer mehr innere Probleme. Die Paulusbriefe und die in seiner Nachfolge geschriebenen Briefe des Neuen Testaments geben uns davon einen Eindruck. Eine der wichtigsten Fragen für die vielen „Neuchristen“ betraf das Christsein: Wie geht Christsein? Woran erkennt man einen Christen? Fragen, von deren Beantwortung viel für die Gemeinden abhing – und auch heute noch abhängt.
Der erste Johannesbrief wurde in eben dieser Zeit der ersten christlichen Gemeinden und in der Nachfolge des Paulus geschrieben. Und für den Verfasser des Johannesbriefes geht es genau darum. Und die Antwort, die er seinen Mitchristen in Kapitel 5,1-4 gibt, ist eine dreifache: Christ und Christin kann sich nennen, wer (1) an Jesus als Christus glaubt, (2) Gottes Geboten gegenüber treu ist sowie (3) Glauben und Hoffnung über alle Grenzen hinweg hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Für den Verfasser des ersten Johannesbriefes gehörte der Glaube, nein, das Wissen, dass Jesus von Nazareth der Gesalbte Gottes, der Messias und Christus, ist, zum Fundament des christlichen Glaubens. Für ihn gehörte auch das Halten der Gebote Gottes selbstverständlich dazu. Im Gesamttenor des ersten Johannesbriefes handelt es sich dabei um das so genannte Doppelgebot der Liebe, nämlich der Gottes- und Nächstenliebe, woran „das ganze Gesetz und die Propheten hängt“ (Matthäus 22,34-40); die Liebe zu Gott und die (tätige) Liebe zum Nächsten gehören da unmittelbar zusammen.
Zuletzt aber sind es die Hoffnung und der Glaube, die die Welt in Jesus Christus siegreich überwunden haben. Diese drei, Glaube, Hoffnung und Liebe, machen das Christsein auch im ersten Johannesbrief aus.
Die Eckpfeiler
des Glaubens
Das sind klare Antworten, die Raum zur konkreten Ausgestaltung lassen wollten und noch immer wollen. Es ist ein Raum, der von jedem Einzelnen neu und zu jeder Zeit anders gefüllt werden will. Es ist der Raum zwischen den Eckpfeilern des Christseins: Dem Glauben an Jesus Christus, dem Zutrauen an die Gottes- und Nächstenliebe und dem Glauben als „Sieg, der die Welt überwunden hat“ (1. Johannes 5,4). Das ist der Raum, der auf die Frage „Wie geht Christsein?“ eine gewissmachende Antwort bereithält.
Bei Faust kommt es übrigens, wie es kommen muss. Margarete murmelt beinahe enttäuscht und leise vor sich: „Denn also hast du kein Christentum.“ Denn, so möchte man im Stillen hinzufügen, Christsein heißt mehr als ein seliges Gefühl zu haben. Christsein heißt vielmehr – so bekennen wir Christen in die Welt hinein –, Gottes tätige Liebe in Jesus Christus im Inneren wie Äußeren Gestalt werden zu lassen.