“Ich war zuhause, aber …” erzählt von einer Familie, deren verschwundener Sohn zurückkehrt – und hinterfragt konventionelle Erzählweisen. Ein Abenteuer für den Zuschauer – wenn er sich darauf einlässt.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Der 13-jährige Phillip (Jakob Lassalle) taucht eine Woche nach seinem rätselhaften Verschwinden ohne Erklärung wieder auf. Seine alleinerziehende Mutter Astrid (Maren Eggert) gerät durch das Vorkommnis noch weiter aus dem Gleichgewicht und zeigt nicht nur im Alltag, sondern auch in ihrem Beruf als Lehrerin an einer Kunsthochschule zusehends Anzeichen der Überforderung.
Der elliptische, sich jeder narrativen Einordnung widersetzende Film von Angela Schanelec stellt mittels Kamera und Montage offensiv seinen Widerstand gegen das konventionelle Erzählen aus. Während er in seinen Tableaus eine faszinierende Vielfalt von philosophischen, ästhetischen und filmhistorischen Verweisen andeutet, weckt die theatralische Inszenierung nachhaltig Distanz zu allem, was gezeigt und gesagt wird. 2019 gewann Angela Schanelec dafür bei der Berlinale den Silbernen Bären als Regie-Preis.
Vielleicht war es Regisseurin Angela Schanelec müde, immer wieder in – positiven – Kritiken zu ihren Filmen auch die Warnung zu lesen, dass hier einem aufmerksam-aktiven Publikum ein Angebot gemacht werde. Jedenfalls beginnt sie ihren Film “Ich war zuhause, aber …” von 2019 mit einer rasanten Verfolgungsjagd, die davon erzählt, dass Filmrezeption immer schon eine kreative Arbeit gewesen ist: Ein Hund läuft über eine Karstwiese, dann ein Kaninchen, beide im Wechsel. Die Montagesequenz wird aufgelöst in einer Totale der Karstlandschaft, in der keines der beiden Tiere zu sehen ist.
Nach diesem Intro wird genauso weiter “erzählt”: Die einzelnen Tableaus werden nicht unbedingt in Zusammenhänge gestellt, aber jedes beinhaltet reichlich Informationen. So verweilt die Kamera für einen Moment auf einer Bücherwand. Zwei Titel sind zu erkennen: ein Buch von Doris Lessing und “About a Boy” von Nick Hornby. Innerhalb des Raumes begegnen sich kurz darauf eine schwer atmende Frau, die sich vor einen Jungen kniet. Erleichtert.
Was ist passiert? Ist es eine Geschichte “about a boy”? Die ersten Worte gehören dann William Shakespeare: Schulkinder proben Dialoge aus “Hamlet”. Es klingelt zur Pause, ein Blick aus dem Fenster: Die Frau und der Junge steigen in ein Taxi. Spätestens jetzt kann der Zuschauer auf die Idee kommen, dass es in “Ich war zuhause, aber …” weniger um das Erzählte als vielmehr um das Erzählen selbst geht. Der Umgang mit Kameraeinstellungen und Montage ist offensiv, das sprachliche Handeln dagegen reserviert.
Von einem Plot zu reden, ist eigentlich unsinnig, weil die einzelnen Szenen wie in einem Mobile gleichgewichtig neben- und aneinander gehängt sind. An Hintergrund muss dies ausreichen: Vor zwei Jahren ist der Familienvater überraschend gestorben. Die Kleinfamilie – Mutter Astrid, Sohn Phillip, Tochter Flo – hat eine “Normalität” neu justiert, aber Astrid scheint angespannt. Das Verschwinden Phillips hat die Familie vor neue Herausforderungen gestellt.
Astrids Überforderung durch die Situation mag ein Knotenpunkt des Films sein, allerdings will der Alltag bewältigt sein. Astrid kauft ein gebrauchtes Fahrrad und besucht eine Bewerbungspräsentation an der Kunstakademie. Der Lehrkörper an Phillips Schule berät über die Konsequenzen für sein Verhalten an der (komischen) Grenze der totalen Erschöpfung. Astrid stattet der Schule einen Besuch ab und plädiert im Lehrerzimmer für Nachsicht gegenüber “diesem Kind, meinem Sohn”.
Vielleicht ist es eine Frage des Temperaments des Zuschauers, vielleicht hängt es auch mit der ausgestellten Theatralität der Inszenierung zusammen: Aber je länger “Ich war zuhause, aber …” dauert, desto komischer wird der Film – obwohl die Themen alles andere als komisch sind. Da werden Texte aufgesagt, da gibt es Versprecher, da gibt es den Fahrradverkäufer, der wegen seines Kehlkopfkrebses einen Sprachverstärker nutzt, was Reklamationen schwierig gestaltet. Und da ist der Lehrer mit Kinderwunsch, dessen Freundin sich leider gerade auf der “Mission Einsamkeit” befindet.
All dies steht mühelos und nicht wertend nebeneinander: der Alltag, das Existentielle, die Mühen, der Tanz, der Kinderwunsch und der Tod, die unterschiedlichen Sprachebenen zwischen Shakespeare und Fahrrad-Reklamation. Mal bekommt Astrid einen Wutanfall, weil die Tochter sich selbst etwas gekocht und dabei die Küche verdreckt hat, mal begegnet sie beim Einkauf dem Regisseur der Bewerbungspräsentation “Kunst & Medien” und verstrickt ihn in eine ästhetische Theorie-Grundsatzdebatte über Schauspiel, Körperlichkeit und Wahrheit.
So sitzt man und staunt von Szene zu Szene, sieht die Choreografie zu einer Cover-Version von David Bowies “Let’s Dance”, hört die von Phillip gesungene Version von “Moon River”, fragt sich, was wohl aus dem Fahrradschloss wurde, das achtlos zu Boden fiel, amüsiert sich über das Empowerment eines Flüchtlingsjungen im Getränkemarkt, sieht die innige Gemeinsamkeit der Kinder Astrids und erlebt ein Abenteuer, das man trotz der Gestaltetheit wohl den “Geschmack des Lebens” nennen kann.