Mit weißem T-Shirt und weißer Hose steht Mario Ulbrich vor einem riesigen Backeisen und gibt Teig auf die Platte, der sogleich anfängt, laut zu zischen. Nach kurzer Zeit ist eine große, runde Oblate entstanden, auf der wiederum viele kleine Kreise mit verschiedenen Darstellungen von Kreuzen versehen sind. Ulbrich arbeitet in der Hostienwerkstatt der Pfeifferschen Stiftungen, der größten Komplexeinrichtung der evangelischen Diakonie in Sachsen-Anhalt mit Klinikum, Wohn- und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder Seniorenwohnheimen.
Auch Ulbrichs Arbeitsplatz gehört zu den Behindertenwerkstätten. Nach einigen persönlichen und beruflichen Rückschlägen ist der 60-jährige gelernte Lagerist nur eingeschränkt belastbar. Bei den Pfeifferschen Stiftungen bekommen Menschen wie er eine Chance, eine sinnvolle Arbeit zu verrichten, die sie auf dem regulären Arbeitsmarkt häufig nicht haben. „Als ich vor 19 Jahren hierherkam, habe ich zum ersten Mal wieder die Sonne gesehen“, erinnert sich Ulbrich: „Hier gibt es ein gutes und schönes Miteinander, einen menschlichen Umgang.“
Hostienwerkstatt der Pfeifferschen Stiftungen: Wer hat welches Talent?
„Wir schauen erst einmal, was der Mensch gut kann, der zu uns kommt, dann organisieren wir die entsprechende Arbeit“, sagt Andreas Schulz, einer der Geschäftsführer des Bereichs Arbeit und Teilhabe bei den Stiftungen. Über 600 Menschen mit psychischen Erkrankungen oder mit Behinderungen sind hier im ostelbischen Magdeburger Stadtteil Cracau beschäftigt.
Für Mario Ulbrich ist die Arbeit in der Hostienbäckerei ein „Platz an der Sonne“, wie er im Gespräch betont. Bis zu 100.000 Hostien, die für die evangelischen Abendmahlsfeiern benötigt werden, produziert er im Jahr. Jeden Morgen, manchmal schon in aller Frühe, rührt er den Teig an, dessen Rezept schnell erklärt ist: Mehl Typ 450, also das haushaltsübliche, dazu das etwas „klebrigere“ Mehl 550 und Wasser – das ist alles. „Kein Salz, kein nichts“, sagt Ulbrich.
Wenn die großen Oblaten fertig sind, kommen sie in einen Nassschrank, damit sie etwas geschmeidiger werden. Dann stanzt Ulbrich mit einem Gerät aus dem Jahr 1957 die einzelnen Hostien aus und sortiert sie in Kartons zu 500 oder 1.000 Stück. Wenn es kleine Löcher im Teig gibt oder der Ränder nicht sauber ausgeschnitten sind, etwa weil die Oblate zu trocken war, werden die Hostien aussortiert. „Ich muss die Hostien mit Respekt behandeln“, sagt Ulbrich.
Hostien gehen an viele Gemeinden in Europa
Von der kleinen Werkstatt aus gehen die Backwaren dann etwa an die Magdeburger Domgemeinde, aber auch an Gemeinden in ganz Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schweden oder Frankreich. Für die Herrnhuter Brüdergemeine, eine eigenständige evangelische Kirche, gibt es eine Spezialanfertigung mit Doppeloblaten, die in der Mitte gebrochen werden, um den Charakter des gemeinschaftlichen Mahls besonders zu betonen.
Wer sich für die Arbeit interessiert, kann Mario Ulbrich nach vorheriger Anmeldung auch über die Schulter schauen. Die Werkstatt steht direkt gegenüber dem Pförtnerhaus an der Einfahrt auf das große Klinikgelände. Früher war hier der Werkstattladen untergebracht, in dem Keramik, Honig, Kerzen oder andere Produkte aus den Werkstätten der Diakonieeinrichtung verkauft werden. Seit Anfang dieses Jahres dampft nun das Waffeleisen an dieser Stelle.
Hostienbäckerei hat eine lange Tradition
Seit 1957 stellen die Stiftungen Hostien her. Viele Jahrzehnte haben die Diakonissen, die es hier einst in großer Zahl gab, die Werkstatt geführt. Da die Zahl der Schwestern immer weiter zurückgegangen ist, haben sie zum 50. Jubiläum im Jahr 2007 die Leitung an die Pfeiffersche Reha-Werkstatt (PRW) für Menschen mit psychischen Erkrankungen abgegeben.
Und mit Mario Ulbrich hat die Bäckerei einen Verantwortlichen gefunden, der hier ein Zuhause gefunden hat und die Arbeit mit Hingabe ausübt. Das stärkt ihn auch in seiner Persönlichkeit. „Hier habe ich keine Ängste und fühle mich sicher“, sagt der 60-Jährige.