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Historikerin Petra Terhoeven zum Streit um ein berühmtes Flugzeug

Am Bodensee steht ein Flugzeug, das Geschichte geschrieben hat. Die Entführung der “Landshut” 1977 fiel zusammen mit dem Höhepunkt des RAF-Terrors im Deutschen Herbst. Nun soll rund um die Maschine ein Lernort entstehen.

Die Entführung der “Landshut” durch ein palästinensisches Terrorkommando sorgte im Herbst 1977 weltweit für Schlagzeilen. Rund um das ehemalige Flugzeug der Lufthansa soll in Friedrichshafen am Bodensee ein Lernort entstehen. In einem Offenen Brief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) warnen Kritiker, darunter ehemalige Geiseln, vor einem Scheitern des Projekts. Ihre Kritik: Statt einer zeithistorischen Gedenkstätte plane die federführende Bundeszentrale für politische Bildung “eine Lehrstunde in Diversität”.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) hat bei Petra Terhoeven nachgefragt. Die Historikerin ist Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Rom und sitzt als Verfasserin zweier Bücher über die Terrorgruppe RAF in dem von der Bundeszentrale installierten “Fachlichen Begleitgremium”. Das aus fünf Mitgliedern bestehende Gremium soll das Projektteam bei der Umsetzung des Lernortes beraten.

Frage: Frau Professorin Terhoeven, Ende 2026 soll rund um die 1977 von Terroristen entführte “Landshut” in Friedrichshafen am Bodensee ein Lernort eröffnen. Kritiker werfen den Machern vor, sich nicht auf das Wesentliche zu konzentrieren: “Die ‘Landshut’ zu restaurieren, so wie sie Teil des kollektiven Gedächtnisses wurde und noch immer ist.”

Antwort: Ich habe den Eindruck, dass die Kritik zumindest teilweise auf Missverständnissen beruht und von falschen Voraussetzungen ausgeht.

Frage: Woran machen Sie das fest?

Antwort: Wenn das Team der Bundeszentrale etwa davon spricht, die Ausstellung solle “multiperspektivisch, partizipativ, inklusiv und barrierearm” ausfallen, heißt das schlicht, dass die heute üblichen wissenschaftlichen Standards der Museumspädagogik eingehalten werden sollen. Zu unterstellen, hier solle eine “Lehrstunde in Diversität” gehalten werden, ist vollkommen irreführend.

Frage: Vielleicht liegt es daran, dass Begriffe wie “multiperspektivisch” sehr abstrakt daherkommen.

Antwort: Das Geschehen, um das es geht, soll aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden. Besucher können eigene Gedanken, Gefühle, Fragen und Erfahrungen einbringen. Auch Menschen mit wenig Vorwissen oder spezifischen Benachteiligungen sollen einen Zugang zur Ausstellung finden.

Frage: Wie konkret soll das geschehen?

Antwort: Der Lernort soll zunächst einmal das Interesse an den 50 Jahre zurückliegenden Vorgängen wecken. Das ist besonders für Schülergruppen wichtig. Ziel ist, dass möglichst viele Besucher am Ende des Ausstellungsparcours besser verstehen, was 1977 geschehen ist und welche umfassenden Folgen die Ereignisse gehabt haben – sowohl für die unmittelbar Betroffenen als auch für unser Gemeinwesen insgesamt.

Frage: Das wäre der Blick in die Vergangenheit…

Antwort: Gleichzeitig geht es darum, eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen: Worauf zielt das Kalkül von Terroristen? Was kann eine Demokratie tun, um Terrorismus rechtsstaatlich und dennoch effizient zu begegnen? Welche Reaktionen sind eher kontraproduktiv und gefährden die Demokratie? Wie kann man die Betroffenen bestmöglich unterstützen, die oft unermessliches Leid erfahren haben? Nur ein offenes Ausstellungskonzept kann solche Lernprozesse in Gang bringen.

Frage: Wäre aus Ihrer Sicht eine Restaurierung der “Landshut”, wie sie die Kritiker fordern, denkbar?

Antwort: Restaurieren kann man nur etwas, was noch erhalten ist und sich wieder zum Vorschein bringen lässt. Von der ursprünglichen “Landshut” ist aber so gut wie nichts übrig, denn den Nachnutzern des Flugzeugs war dessen besondere Geschichte keine besondere Behandlung wert. Das kann man heute schlechterdings nicht mehr korrigieren – jedenfalls nicht, indem man durch umfassende nachträgliche Eingriffe – Umlackieren, Neubestuhlen, Auskleiden – eine vermeintlich authentische “Landshut” herstellt, die de facto einen reinen Inszenierungscharakter hätte.

Frage: Natürlich war die “Landshut” noch bis 2008 unter wechselnden Eigentümern im Einsatz, zuletzt in Brasilien. Aber die Entführung 1977 ist nun einmal das zentrale Ereignis, was sich mit dem Flugzeug verbindet.

Antwort: Wenn es nur darum ginge, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie ein Passagierflugzeug der Lufthansa im Jahre 1977 aussah oder wie eng damals wie heute die Sitzreihen waren, hätte man das Wrack der “Landshut” nicht aufwendig aus Brasilien nach Deutschland holen müssen. Das könnte man anhand jeder x-beliebigen Boeing 737 der entsprechenden Baureihe demonstrieren. Von einer “gefakten” Landshut würden sich Besucher zu Recht getäuscht fühlen – eine solche Inszenierung wäre geschichtsvergessen.

Frage: Welche Kompromisse wären mit Blick auf die Forderungen der ehemaligen Geiseln denkbar?

Antwort: Dass es Debatten und Konflikte um ein Projekt von einer solch hohen Bedeutung für die bundesdeutsche Erinnerungskultur gibt, ist völlig normal und gehört in einer Demokratie schlicht dazu. Das war bei vergleichbaren Initiativen in der Vergangenheit nicht anders, wenn wir zum Beispiel an die Gedenkorte für den Olympiaanschlag von 1972 oder das Oktoberfestattentat von 1980 denken, die 2017 beziehungsweise 2020 beide in München realisiert werden konnten. Am Ende hat das Ringen um das beste Konzept sowohl im Olympiapark als auch an der Theresienwiese zu einem sehr guten Ergebnis geführt, das Vorbildcharakter auch für die “Landshut” haben könnte.

Frage: Inwiefern?

Antwort: In beiden Fällen waren von Anfang an die Betroffenen eingebunden. Die Ausstellungen stellen also nicht zufällig das Schicksal der Menschen in den Mittelpunkt, die bei den jeweiligen Anschlägen starben, verletzt wurden oder einen geliebten Menschen verloren haben. Genau das ist auch für die “Landshut” geplant, wie es völlig zu Recht jetzt auch öffentlich gefordert wird. Auch wenn dort glücklicherweise nur ein Mensch – Flugkapitän Jürgen Schumann – getötet wurde, haben die Insassen des Flugzeugs dennoch über Tage hinweg ein Ausmaß an Angst und Leid erlebt, das für Außenstehende schlechterdings unvorstellbar bleiben muss.

Frage: Könnte man sich aber zumindest nicht dieser Angst und diesem Leid im Lernort annähern?

Antwort: Ich halte durch den Raum geisternde Überlegungen für abwegig, man könnte in einer Art Hitzekammer bei 40 Grad und künstlichem Gestank die Erfahrung der ehemaligen Geiseln für heutige Besucher nacherlebbar machen. Ganz abgesehen davon, dass solche Überwältigungsstrategien völlig zu Recht schon seit vielen Jahren in der Museumspädagogik geächtet sind, kämen sie auch einer Trivialisierung der damaligen Schreckenserfahrung gleich. Genauso wenig soll eine unkritische Erfolgsgeschichte der damaligen Terrorismusbekämpfung erzählt werden.

KNA: Wieso ist das wichtig?

Antwort: Gerade der Blick auf das Schicksal der Betroffenen, die nach der Entführung mit ihren vielfältigen Problemen völlig allein gelassen wurden und einen erschreckenden Mangel an staatlicher Verantwortungsübernahme erlebten, verbietet eine ungebrochen positive Sicht. Deshalb sollen die Geschichten und Erinnerungen dieser Menschen selbst zum Kern der zukünftigen Ausstellung werden. Das Team der Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet eng mit allen Betroffenen zusammen, die dies wünschen – übrigens eine sehr heterogene Gruppe, die naturgemäß nicht nur eine einzige Auffassung vertritt, auch nicht in der Rekonstruktionsfrage. Am Ende steht hoffentlich ein Lernort, der dem Geschehen angemessen ist und mit dem sich möglichst viele Betroffene identifizieren können. Sie warten schon viel zu lange darauf.