Artikel teilen:

Himmelsgeduld

Über den Predigttext am 2. Sonntag im Advent: Jakobus 5,7-8(9-11)

Predigttext am 2. Sonntag im Advent: Jakobus 5,7-8 (9-11)
7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. 9 Seufzt nicht widereinander, liebe Brüder, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. 10 Nehmt, liebe Brüder, zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. 11 (…)Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.

Vor zwei Jahren haben wir in unseren Ruhrgebietspfarrgarten zwei junge Weinstöcke gepflanzt. Unser fester Vorsatz war: Sie sollen dort nicht nur an der Fassade wuchern. Sie sollen Frucht tragen! Seitdem steigt bei jedem Glas Wein, das ich trinke, meine Hochachtung vor denen, die Wein anbauen können. Man braucht dafür offensichtlich nicht nur eine gute Lage, sondern auch gärtnerisches Wissen, Hingabe und viel Geduld. So ist es mit allem, was Frucht bringen soll. Es braucht seine Zeit, um zu reifen. Es darf nicht zu früh geerntet werden. Und es bedarf der Pflege von Menschen, die sich mit dem Anbau auskennen.

Hingabe und viel Geduld

Nicht nur das, was wir essen, muss wachsen. Auch das, was dem menschlichen Zusammenleben Qualität gibt, muss reifen. Vertrauen und Freundschaft entstehen nicht in einem Augenblick. Vor allem dort, wo bisher Misstrauen und Feindschaft regierten, wächst Vertrauen langsam. Engagierte Menschen begleiten das Wachsen der zarten Hoffnungspflanzen mit Hingabe. Was wächst, wird mit Gebeten begossen und gedüngt. Liebe, Freude und Friede sind deshalb nicht einfach ein „Resultat“ menschlicher Bemühungen, sondern eine „Frucht des Geistes“, etwas Gewachsenes, ein Wunder Gottes.
Die Vernichtung von Lebensqualität geht schnell. Friede und Vertrauen können in wenigen Momenten in Trauer und Angst verwandelt werden. Die wenigen Stunden der Anschläge in Paris haben ein Stück von dem zerstört, was in Europa in 70 Jahren gewachsen ist. Ohnmächtig aufwallender Zorn ruft nach bewaffneter Vergeltung. Doch durch Waffen wächst kein neuer Friede. Mit Waffen bekämpft man einen Feind, aber nicht die Feindschaft.
Der Jakobusbrief beschreibt einen Bauern bei seiner Arbeit. Er widmet sich mit aller Hingabe dem Gedeihen seiner Ernte. Er gibt der Frucht Zeit zu reifen. Sie soll den Frühregen und den Spätregen empfangen. So lange hält er sich mit der Sense zurück. Hinter diesem Bild stehen die biblischen Aussagen über die Barmherzigkeit Gottes: Er ist „langmütig und freundlich, geduldig und von großer Güte“. Sein Reich soll auf der Erde wachsen; seine kostbare Frucht die Gemeinschaft reich machen. Dafür gewährt er den Säumigen Aufschub. Er richtet die Gefallenen auf. Er gibt den Wunden Zeit zu vernarben. Er trägt das Böse nicht nach. Er hält den Tag des Gerichtes zurück, um geistlichem und menschlichem Wachstum Raum zu geben.
„So seid auch ihr geduldig, Geschwister, bis zum Erscheinen des Herrn!“, ermahnt Jakobus. Macht es dem großen Gärtner gleich und hegt das Gewachsene! Gebt nicht zu früh die Hoffnung auf. Ruft nicht zu früh zur Gewalt! Fällt keine abschließenden Urteile! Sondern sät Worte, die Vertrauen wachsen lassen. Gießt nicht Öl ins Feuer des Hasses, sondern Lebenswasser auf die Pflanzen der Hoffnung. Teilt mit den Hungrigen und Durstigen! Nehmt die Fremden gastlich auf! Betet für Freund und Feind! Um es im Bild des Jakobusbriefes zu sagen: Wenn Gott noch als geduldiger Gärtner die Frucht ersehnt, könnt ihr nicht schon die Sense zur Ernte in die Hand nehmen.

Beten für Freund und Feind

Das ist in dieser Zeit eine große Herausforderung. Es geht unseren Vergeltungswünschen gegen den Strich. Und es geht denen, die sich engagieren, an die Grenzen ihrer Kraft. Wir alle sollen aus dem Text auch die Zusage hören: Liebe und Friede wachsen nicht auf unserem menschlichen Mist. Sie haben ihren Ursprung in Gottes Kraft. An seiner Seite dürfen wir arbeiten. Von seiner Kraft dürfen wir nehmen. Seine Geduld dürfen wir teilen, bis sichtbar wird, wonach die Welt sich sehnt.