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Himmel, Arsch und Luther

Martin Luther nutzte eine derart derbe Sprachform, dass man heute dafür vermutlich von der Kanzel fliegen würde. Warum ist das so? Und: Sollte man daran etwas ändern?

Donnerwetter! Wenn man sich mit Martin Luther beschäftigt, wird man irgendwann auch auf seine Sprache stoßen. Und die hatte es in sich. „Scheiß-Bischof“, „Doktor Sau“, der große Reformator hatte keine Probleme, den Dreck gleich kübelweise über seine Gegner auszugießen. „Furz“ und „Arsch“ gingen dem Augustiner-Mönch und Theologieprofessor genauso leicht über die Lippen wie griechische oder hebräische Vokabeln (siehe Seite 16).
Kraftausdrücke und Fäkal-Sprache – da kann es einem vorkommen, als ob man ins RTL 2-Programm geschaltet hätte. So dürfte auf der Kanzel heute wohl keiner mehr reden.
Aber: Das, was aus dem Munde heutiger Predigerinnen oder Prediger vermutlich einen Eklat auslösen würde, wird bei der Überfigur Martin Luther bewundert. Luther ist die Ausnahmeerscheinung, der Held, der für die gute Sache kämpfte. Der durfte das.
Tatsächlich aber fühlt man sich bei der Lektüre seiner Zitate frappierend an die heutige „hate speech“ erinnert; die „Hassrede“ – jene neu aufkommende Verrohung der Sprache, die in unsäglichen, aber quotenträchtigen Talkshows allabendlich in die Wohnzimmer flimmert und endlos wiederholt wird in den sozialen Medien des Internets.
Auch Luthers Zeit war eine Periode der „hate speech“. Die Kulturwissenschaft bezeichnet diese Periode mit dem Wort „Grobianismus“. Luther war also keineswegs der Erfinder der deftigen Worte.
Nur, dass Martin Luther immer noch einen draufsetzte. Der große Reformator schimpfte und provozierte, wütet und kanzelte ab wie kaum ein zweiter.
Luther war ein Phänomen. Vom Akademiker zum Straßenprediger, vom wissenschaftlichen Diskurs zur Wort-Gewalt eines Fischverkäufers, der die Menschen Kraft seiner Sprache zum Zuhören zwingt. Nicht alles ist dabei seiner Veranlagung zum Choleriker zuzuschreiben. Auch nüchternes Kalkül wird eine Rolle gespielt haben.
Denn Luther wollte die Menschen erreichen. Nicht nur die Akademiker und Gebildeten. Sondern das ganze Volk. Deshalb nutzte er die derbe Sprache. Deshalb schuf er einprägsame Wortbilder. Er suchte und fand die Aufmerksamkeit der Menschen auf den Straßen. Er buhlte regelrecht darum.
Und genau daran hapert es heute.
Wer heute Theologinnen oder Theologen nach Gott und Glaube fragt, erhält meist erst mal eine Antwort: Das ist alles nicht so einfach.
Das stimmt auch. Es ist nicht einfach, eine 2000 Jahre alte Botschaft in heutiges Denken und Fühlen zu übersetzen. Aber auch für Martin Luther lagen schon 1500 Jahre zwischen dem, was er verkündete und wie er es verkündete. Und er fand einen Weg.
Niemand kann eine Jahrtausend-Figur wie Martin Luther einfach kopieren. Das muss man erst gar nicht versuchen. Aber: Das Evangelium so zu verkündigen, dass auch RTL 2-Zuschauer hinschauen und hinhören – wäre nicht das die Herausforderung heutiger Theologie?