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Hilfe bekommt, wer sie am nötigsten braucht

Ulrich Lilie informierte sich bei der norwegischen Diakonie über das dortige Gesundheitssystem

BERGEN – Vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos hängen in dem kleinen Sprechzimmer der „Haralds-plass Diakonale Stiftelse“ im norwegischen Bergen. Sie zeigen norwegische Diakonissen: junge Frauen, die sich am Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zwischenkriegszeit und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg für eine Ausbildung als Krankenschwester entschieden und sich in der Diakoniestiftung segnen ließen. Doch mit den Jahren nahm die Zahl der jungen Frauen auf den Fotos ab. Zum Schluss sind es nur noch drei, die ihre Hände in die Hand des Vorstehers der Einrichtung legen. Das Foto wirkt wie eine Trotzgeste.
Heute gibt es in der „Haraldsplass Diakonale Stiftelse“ sowie in den meisten Häusern des Kaisers-werther Verbands deutscher Diakonissen-Mutterhäuser, von dem die Einrichtung im norwegischen Bergen einst gegründet wurde, kaum noch Diakonissen. An Pflegekräften allerdings besteht in Norwegen kein Mangel – im Gegenteil. „Bei uns ist die Pflege ein akademischer Beruf“, sagt Ingunn Moser, Rektorin der zur norwegischen Diakonie gehörenden Hochschule VID, die sich unter anderem mit der Pflegeausbildung beschäftigt.

Mehr als 2000 Bewerber für 118 Studienplätze

Wer sich zur Krankenschwester ausbilden lässt, absolviert einen Bachelor-Studiengang. Und die Ausbildung ist beliebt: Für 118 Studienplätze gab es an der VID im vergangenen Jahr mehr als 2000 Bewerber.
Die Sozialverbände in Deutschland können von so viel Interesse am Pflegeberuf nur träumen. „Wir bemühen uns um eine generalisierte, akademische Pflegeausbildung“, sagt der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, bei einem Besuch der norwegischen  Diakoniestiftung (siehe auch Interview oben). Immer wieder verwiesen ihn die norwegischen Gastgeber auf Unterschiede: So gibt es im steuerfinanzierten norwegischen Gesundheitssystem keine Krankenkassen.
Nur wenige Norweger werden von ihrem Arbeitgeber privat versichert. Ein Einzelzimmer in der Geriatrie-Station erhält nicht, wer dafür bezahlt, sondern wer es am nötigsten braucht, sagt Chefarzt Jan Henrik Rossland. Für Patienten gibt es ein dreistufiges System: für kleinere Krankheiten den von der Kommune bezahlten örtlichen Arzt mit einem klar definierten Versorgungsbezirk; der weist im Notfall in ein fest definiertes, für den Wohnort des Patienten zuständiges Krankenhaus ein. Und darüber hinaus dann Spezialversorgung auf der regionalen Ebene. So ist es auch in der Hospizversorgung geregelt – die in Deutschland ebenfalls ein wichtiges Anliegen der Diakonie darstellt.
Landesweit stehen den Norwegern nur knapp über 100 Betten in Palliativstationen zur Verfügung. Dafür gibt es aber die Möglichkeit, sich in Seniorenheimen palliativmedizinisch versorgen zu lassen.

Unkomplizierte Pflege – auch zuhause

„Patienten, die ihre letzten Wochen gern zu Hause verbringen möchten, erhalten einen Schnellhefter, in dem genau aufgeschrieben ist, wen sie anrufen müssen, wenn es ihnen schlechter geht – und was sie sich wünschen, falls ein Pflegedienst im Zweifel ist“, sagt Marit Huseklepp, die in der „Haralds-plass Diakonale Stiftelse“ auf Palliativversorgung spezialisiert ist. Zudem erhalten die Patienten  Schmerzmittel mit nach Hause; sogar Morphium ist dabei. „Wir wollen, dass die Krankenpfleger die Patienten unkompliziert versorgen können, wenn es darauf ankommt.“ Unkomplizierte Lösungen, die sich die deutschen Sozialverbände wohl auch hierzulande wünschen. KNA