Hannover. „Die Kirche ist für uns Jugendliche verstaubt und altbacken, wir wünschen uns Kirche als offenen Raum, mehr wie ein Wohnzimmer“, sagt Charlotte Walter. Seit fünf Jahren engagiert sich die 22-Jährige in der Jugendkirche und möchte später mal Diakonin werden. Aktuell studiert sie Religionspädagogik und Sozialarbeit und organisiert mit anderen Jugendlichen in der Jugendkirche „Silent Partys“, Konfirmationsgottesdienste, spirituelle Angebote sowie einmal im Monat eine gemeinsames Frühstück. Jüngstes Projekt in der Jugendkirche ist ein Coworking-Space.
An zwei Tagen in der Woche werden Stromkabel verlegt und Möbel auf Rollen bereitgestellt Die Besucher richten sich in der Kirche einen Arbeitsplatz ein und gehen ihrem Job nach. „InsSpiriert“ nennt das Team rund um Diakonin Daniela Klockgether ihr Angebot. „Wir wollen, dass die Menschen zu uns kommen und inspiriert wieder gehen“, sagt die Diakonin, von der die Idee stammt. In vielen Bibliotheken gebe es für Studierende keine Arbeitsplätze, viele seien wegen Corona isoliert und hätten keinen Austausch mit anderen. „Ich finde es daher sinnvoll, die Lutherkirche zu nutzen, wenn sie nicht gebraucht wird.“
Projekt wird begleitet
Daniela Klockgether beschäftigt sich in ihrem Studium mit Veränderungsprozessen in Kirche und Gesellschaft. Seit 2012 arbeitet die Diakonin in der Jugendkirche und will das Projekt Coworking-Space wissenschaftlich in ihrem Studium begleiten. Sie hat ihren Arbeitsplatz ebenfalls in die Jugendkirche verlegt. Im April 2021 hofft sie, erste Ergebnisse präsentieren zu können.

Derzeit sind neben der Diakonin neun Ehrenamtliche aktiv dabei, die sich darum kümmern, dass Telefonkonferenzen funktionieren, aber auch für Getränke in den Pausen sorgen. „Studierende haben einen Bedarf an Arbeitsraum mit frei zugänglichem WLAN, da die Universitätsbibliotheken ihr Angebot coronabedingt eingeschränkt haben“, erläutert Charlotte Walter. Für Gruppen bis zu sechs Personen gebe es zwei separate Räume. Im Pausenbereich stehen Kaffee und Getränke gegen eine Spende bereit. Das Mobiliar können sich die Besucher selbst zusammenstellen, es gibt Tische, Stühle und Hocker. Seinen Platz wählt jeder frei im Kirchenraum.
Wer eine Pause braucht, kann sich mit einem Sitzsack hinter einen Vorhang zurückziehen. „Beim ersten Videocall war es schon merkwürdig mit den Buntglasfenstern im Hintergrund“, berichtet Tinoco Vollmann. Mittlerweile fühlt sich die PR-Studentin aus Hannover in der Jugendkirche sehr wohl. Ein Plus sieht die 21-Jährige darin, dass Menschen hereinkommen, die mit Kirche Berührungsängste haben oder mit Religion wenig anfangen können. „Die Jugendkirche war immer gut im Stadtteil integriert. Jetzt besteht die Möglichkeit, den sakralen Raum zu öffnen und urbane Bedürfnisse zu erfüllen.“