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Heimlich zu den Katholiken

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Reformatoren eine größere Distanz zum Karneval zeigten als die katholische Kirche. Besonders in calvinistisch geprägten Regionen werden die „tollen Tage“ deshalb bis heute gemieden, wenn nicht gar verteufelt. Auch Martin Luther warnte vor Zügellosigkeit und den Ausschweifungen des Karnevals. Nun mischen sich in der Region meiner Kindheit reformierter Glaube und Erweckungsbewegung. Ein brisanter Mix, wenn es um die „fünfte Jahreszeit“ geht. So bildeten in Siegen „Offene Abende“ über drei Jahrzehnte ein frommes Gegengewicht zu den Karnevalsveranstaltungen. Hier ging man als Jugendlicher hin. Nicht zu Partys oder Prunksitzungen. Kostüme und Alkohol waren tabu. In manchen Jahren kamen bis zu 10 000 Jugendliche in die Siegerlandhalle. Und manche christliche Musikgruppe startete bei den „Offenen Abenden“ ihre Karriere.

Als kleiner Junge hatte ich aber durchaus den kindlichen Wunsch, mich auch einmal zu verkleiden. Was blieb mir in diesem karnevalsunfreundlichen Umfeld anderes übrig, als mich heimlich ins katholische Pfarrheim zu schleichen? Quasi inkognito betrat ich also die Räume der Gemeinde mit dem fremd klingenden Namen St. Johannes Baptist. Dort erwarteten mich fröhliche Kinder, leckere Snacks und harmlose, lustige Spiele. Ich konnte beim besten Willen nichts Falsches daran finden. Und trotzdem war ich froh, dass mich im Piratenkostüm oder mit Darth-Vader-Maske nicht gleich jeder erkannte. Denn mir wurde immer wieder gesagt: Vor Gott trägt man keine Masken. Aber einmal im Jahr habe ich mich getraut. Und es hat mir nicht geschadet.