Spiele-Apps sind meist kostenfrei, kommen bunt und harmlos daher. Bei näherem Hinsehen finden sich jedoch fast immer verstörende Inhalte. Fachleute rufen Eltern, Anbieter und die Politik auf, dagegen vorzugehen.
Das Männchen hält nicht an und nicht inne. Es läuft ein paar Schritte, schießt auf einen Passanten, ein Stück weiter auf den nächsten. Entschlossen nähert es sich einem Gebäude. Die Szene, die an Amokläufe und Terroranschläge erinnert, stammt aus der App Roblox. Programmiert ist die Handlung – wie in vielen ähnlichen Fällen – nicht von den Spielemachern, sondern von Nutzern. Freigegeben ist die App ab zwölf Jahren, doch auch Testpersonen, die ihr Alter mit zehn angaben, konnten sie problemlos herunterladen.
Das ist nur eines von mehreren Beispielen für erschreckende Inhalte, über die die Stiftung Warentest am Donnerstag berichtet. Von 16 beliebten Spiele-Apps sei nur eine einzige zu empfehlen – allerdings auch nur mit Einschränkung, so das Ergebnis ihrer jüngsten Untersuchung. Diese empfehlenswerte App, Minecraft, kostet in der Anschaffung acht Euro. Die anderen verführen zu In-App-Käufen; die Fachleute sprechen von einer Tendenz zu “raffinierter Monetarisierung”.
Ein niedlicher Fuchs mit herzerweichendem Blick klagt in der App Solitaire Grand Harvest: “Ich habe Hunger” – Nutzerinnen und Nutzer können auf “helfen” klicken. Ob man mit einer In-App-Währung wie Goldmünzen zahlt, die man sich im Spiel erarbeitet hat, oder mit echtem Geld – das sei in vielen Fällen kaum zu erkennen, kritisiert Martin Gobbin, Multimedia-Experte der Stiftung Warentest. Mitunter, etwa bei Brawl Stars, seien mehrere In-Game-Währungen miteinander verschränkt. “Man verliert den Überblick, erst recht als Kind.”
Belgien stufe inzwischen etwa Beutekisten, die man kaufen müsse, ohne zu wissen, was sich darin befinde, als Glücksspiel ein, ergänzt der Bereichsleiter Untersuchungen der Stiftung Warentest, Holger Brackemann. Generell brauche es klare und nachvollziehbare Bezahlmodelle. Außerdem müssten kinder- und jugendgefährdende Inhalte standardmäßig deaktiviert sein und sich erst über ein Alters-Verifikationssystem freischalten lassen, wie etwa bei den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender.
Regelungen wie das Digitale-Dienste-Gesetz oder der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag schafften zwar einen rechtlichen Rahmen. Es fehle jedoch “eine konsequente Überwachung dieses Marktes, mahnt Brackemann. Auch verbiete das Digitale-Dienste-Gesetz sogenannte Dark Patterns – es gibt jedoch laut Gobbin keine Definition, was dies überhaupt sei.
Ein Beispiel für solche Dark Patterns ist aus Sicht der Fachleute, dass die meisten Spiele auf nahezu endlose Nutzung setzen. Wer unterbreche, verliere mitunter den eigenen Spielstand – in anderen Fällen werde tägliches Spielen belohnt. Gobbin nennt beispielhaft die “Tagesgeschenk-Serie” in der App Brawl Stars. Andere Apps wie Monopoly Go belohnten Einladungen an Freunde. Auch Gruppenaktivitäten verleiteten dazu, immer mehr zu spielen: “Wenn ich Hausaufgaben mache oder Fußball spiele und deshalb mein ‘Clan’ im Spiel verliert, erzeugt das natürlich hohen Druck im Freundeskreis”, so Gobbin.
Auch Hass und sexualisierte Inhalte tauchen in den als inakzeptabel bewerteten Apps auf. Die Testerinnen und Tester fanden etwa Nutzernamen wie “Judenkiller88” (in der App Gardenscapes), “Hitlerland” (in der App Township) oder Gruppennamen wie “Gegen Juden” (in der App Hay Day). Zudem dokumentierten sie Kontaktaufnahme von Fremden, die Kinder nach ihrer Telefonnummer fragten (in der App Clash of Clans). Hier seien Anbieter und Entwickler in der Pflicht – “zumal sich einschlägige Namen durch Wortfilter oder Moderation leicht verhindern lassen”, sagt Gobbin.
Auch für besorgte Eltern hat die Stiftung einige Tipps. Sie sollten Gaming ernstnehmen und nicht abtun, rät Gobbin. Sinnvoller sei, mit Kindern über Spiele zu sprechen, vielleicht einmal zuzuschauen oder im Idealfall selbst mitzuspielen. Die Möglichkeit für In-App-Käufe lasse sich deaktivieren oder mit einem Passwort schützen, ebenso könne man die maximale Bildschirmzeit an vielen Geräten begrenzen. Wenn doch einmal ein Verbot nötig werde, solle man dies erklären und Sorgen darlegen – statt einfach ein Machtwort zu sprechen.