„Wir wohnten vorher in einer kleinen Bude mit Außenklo, ohne Bad und Ratten im Keller“, sagt Evelyn Perleberg: „Und wir kamen in eine Wohnung mit Kohlebadeofen im Bad und Mäusen in der Zwischendecke.“ Seit fast 41 Jahren wohnt die 68-Jährige mit ihrem Mann Lutz im obersten Stock eines der 32 Krämerbrücken-Häuser in Erfurt. Bereut haben sie es nie, dafür umso mehr erlebt. Seine zwei Kinder hat das Ehepaar hier großgezogen, mit den Nachbarn gefeiert und gelacht, regelmäßig bei den Modernisierungen mit angepackt und skeptischen Freunden über all die Jahrzehnte immer wieder versichert: „Ja, hier kann man wohnen.“
Vom 13. bis 15. Juni feiert Erfurt das Jubiläum seines Wahrzeichens im Rahmen des alljährlichen Krämerbrückenfests. Die Krämerbrücke über dem Breitstrom wird von vielen Bewohnern auch eine „alte Dame“ genannt. Ursprünglich als Holzbrücke errichtet, wurde sie nach mehreren Bränden 1325 durch eine steinerne Konstruktion ersetzt. Die Brücke war Teil der Via Regia, auf der Handelsgüter zwischen Paris und Kiew quer durch Europa transportiert wurden. Wie auf vielen mittelalterlichen Brücken hatten Erfurter Händler links und rechts der Fahrbahn ihre Stände aufgebaut, um ihre Waren den Erfurtern und den vorbeiziehenden Kaufleuten anzubieten.
Ein Stadtbrand im Jahr 1472 vernichtete einen Großteil der ursprünglichen Bebauung. In den darauffolgenden Jahren wurden 62 Fachwerkhäuser neu aufgebaut, von denen heute noch 32 erhalten sind. Die Benediktikirche, die einst das westliche Ende der Brücke markierte, wurde 1810 abgerissen, während die Ägidienkirche am östlichen Ende bis heute erhalten geblieben ist.
Erst spät wurde das Wohnen auf der vielleicht größten Erfurter Sehenswürdigkeit zu einem Privileg. Erst nach der Wende nahm der Tourismus zu. „Bis 1989 war die Krämerbrücke kein Reiseziel, sondern Teil der Protokollstrecke“, erinnert sich Evelyn Perleberg. Regelmäßig wurden offizielle Delegationen über die Brücke geschleift. Für die Anlieger hieß das auf behördliche Anordnung: „Die Fenster müssen geschlossen bleiben. Und auch hinter den Gardinen zu stehen, war nicht gern gesehen.“ Dafür seien die Brückenhäuser immerhin bis zum ersten Stock regelmäßig gestrichen worden.
Die unmittelbare Zeit nach der Wende sorgte nicht nur bei den Perlebergs für manch schlaflose Nacht. Investoren schlichen auf der Brücke herum, planten Hotelprojekte oder eine Goldschmiedemeile wie auf der Ponte Veccio in Florenz. Und für das Haus, in dem die Perlebergs wohnten, wurde ein Antrag auf Rückübertragung gestellt. Am Ende kam es nicht dazu.
Seit 1996 kümmert sich eine städtische Stiftung um die Belange der Krämerbrücke. „Damals war die Stadt schon Eigentümerin fast aller Häuser“, sagt der Vorsitzende des Stiftungsrates, Wolfgang Zweigler. Auftrag der Stiftung sei es einerseits gewesen, die Brückenhäuser baulich wieder auf Vordermann zu bringen und die Brücke andererseits als Ort der Händler wiederzubeleben.
Letzteres sei eine zentrale Aufgabe für das Erlebnis Krämerbrücke. Die Stiftung wählt die passenden Mieter für die Geschäfte aus, wenn mal etwas frei wird. Willkommen sind kleine inhabergeführte Geschäfte, die Dinge anbieten, die nicht überall sonst auch zu kaufen sind oder die vielleicht sogar im Geschäft selbst angefertigt werden, sagt Zweigler.
Damit setzt die Stiftung die historische Tradition der Brücke als Handelsplatz nahtlos fort. Die Krämer mit ihren Ladengeschäften gaben dem Bauwerk seinen Namen. Später folgten die Handwerker. Die Eigentümerlisten des 16. bis 18. Jahrhunderts vermerken etwa Strumpfwirker, Leinwandweber, Kupferschmiede, Zuckerbäcker oder Goldschmiede als Bewohner der Brücke.
Immer noch bieten in den 32 Häusern Händler ihre Waren feil. Die Warteliste, hier ein Geschäft eröffnen zu dürfen, ist lang. Heute finden sich hier etwa Thüringer Spezialitätengeschäfte, Keramiker, Puppenschnitzer, Antiquitätenhändler und die Galerie des Verbands der bildenden Künstler. Deren Geschäftsführerin Michaela Hirche hat ihren Schreibtisch ganz bewusst nah an ein Fenster mit Blick auf die Brückengasse gerückt: „Hier hinunterzuschauen auf diesen besonderen Ort, da wird einem immer wieder klar, was das hier für ein toller Arbeitsplatz ist.“