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Halleluja hinter Gittern

Als das Streichquartett die Zugabe „Halleluja“ von Leonard Cohen spielt, kommt Bewegung in den Saal. Rund 70 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg beginnen mitzuwippen und brummen den Halleluja-Refrain. Und am Ende gibt es von den Sitzreihen heftigen Applaus für das Akademisten-Quartett der Nürnberger Symphoniker.

Seit 2017 geben die Symphoniker in der Vorweihnachtszeit ein Konzert in der Nürnberger JVA. Dieses Mal musiziert ein Streichquartett aus Akademisten, jungen Nachwuchsmusikern, die von den Symphonikern besonders gefördert werden. Auf dem Programm stehen unter anderem Stücke von Erwin Schulhoff, Friedrich Smetana oder auch Antonín Dvořák. Für Symphoniker-Intendant Lucius A. Hemmer ist auch ein Auftritt hinter Gittern Teil seiner Mission. „Musik ist für alle Menschen“, sagt er vor Beginn des Konzertes im funktionalen Mehrzweckraum der JVA. „Hier in der JVA sind wir auch an der richtigen Stelle.“

Die „absurde Idee“ der Konzerte, erinnert sich Hemmer, sei zufällig bei einer Begegnung mit dem Nürnberger JVA-Leiter Thomas Vogt entstanden. Denn die Nürnberger Symphoniker verlassen gern ihren heiligen Konzertsaal, um an untypischen Orten aufzutreten. Sie spielen etwa im Nürnberger Verkehrsmuseum und im Zukunftsmuseum. Er versuche möglichst unterschiedliche Facetten der Gesellschaft zu erreichen, sagt der Intendant.

Der Cellist Juan Rodriguez hat zum ersten Mal ein Konzert hinter Gittern gegeben. Es sei eine „unglaubliche Erfahrung“, sagt er hinterher. Er habe festgestellt, dass er mit der Musik „etwas Besonderes geben konnte“, auch wenn er zuvor ziemlich unsicher und aufgeregt war. Deshalb steht für ihn schon jetzt fest, dass er das nächste Mal, „wenn möglich – wieder dabei ist“. Die beiden jungen Geigerinnen Miriam Frind und Palina Prtasouskaja sowie die Bratschistin Julia Ogas waren bereits im letzten Jahr hinter Gittern dabei. „Die Resonanz war super“, hat Frind von der Bühne wahrgenommen. Und Ogas ist besonders die „Dankbarkeit des Publikums“ aufgefallen.

„Musik ist eine Sprache, die jeder hier versteht“, sagt der Gefängnischef Vogt mit Blick auf die vielen Nationen, die in seinen Zellenblöcken Strafen bis zu zwei Jahre absitzen. Gerade in der dunklen Vorweihnachtszeit seien die Symphoniker hinter Gittern richtig. Viele Gefangene spürten dann eine innere Unruhe, weil sie getrennt von Familie oder Freunden sind. Mithilfe der Musik könnten sie zur Ruhe kommen und reflektieren.

Tanja Kühn vom pädagogischen Dienst der Nürnberger JVA hat das Gastspiel erneut organisiert. Sie hat sich dafür stark gemacht, dass auf Wunsch mehrerer Gefangener auch Filmmusik auf den Spielplan kommt. Dieser Wunsch wurde mit einem „Fluch der Karibik“-Medley erfüllt, das ebenfalls mit viel Applaus dankbar quittiert wurde.

Kühn ist auch immer für die Auswahl der Zuhörer zuständig, die sich aus jedem Zellenblock bewerben müssen. „Dieses Mal waren die Plätze ziemlich schnell weg.“ Von Zelle zu Zelle habe sich die Begeisterung für das Konzert herumgesprochen. Nur gut 70 Gefangene der über 800 Insassen, etwa 50 Männer und 20 Frauen getrennt auf der Empore, dürfen zuhören. Kühn schaut sich vorher noch das Strafregister an. Wer ein schweres Gewaltdelikt begangen oder „eine kurze Zündschnur“ hat, darf nicht mit.

Kühn führt Regie im Hintergrund und sorgt etwa dafür, dass die Teilnehmer der einzelnen Zellenblöcke getrennt kommen und in getrennten Reihen Platz nehmen. Nebenbei haben sie und die Wächter ein Auge darauf, dass zwischen den blockweisen Stuhlreihen nicht hin und her geschmuggelt wird. Auch zwischen den Toilettengängen wird kontrolliert, ob nicht etwas Verbotenes für einen Mitinsassen versteckt wurde. Der Abend verläuft aber auch aus ihrer Sicht ohne Störungen.

Einigen Gefangenen gefällt der Cohen-Song „Halleluja“ so gut, dass sie klatschend aufstehen. Das sorgt bei den JVA-Bediensteten im Hintergrund für besondere Aufmerksamkeit. Doch alles bleibt ruhig, die Gefangenen setzen sich wieder und lauschen „Oh, Du Fröhliche“ und „Stille Nacht“. Als zum Ende „We wish you a merry Christmas“ ertönt, singen die Häftlinge sogar kräftig mit. (3950/17.12.2025)