Landlust ist angesagt. Nicht nur die gleichnamige Zeitschrift boomt. Dörfer und kleinere Städte werden wieder beliebter. Doch die große Mehrheit lebt in großen Städten. Und die müssen mit vielen Problemen fertig werden.
Großstädte sind wie ein Brennglas, in dem sich die sozialen Herausforderungen der Zeit am stärksten zeigen. Und Großstädte sind wegen ihrer geballten wirtschaftlichen und kulturellen Kraft entscheidend für die Entwicklung eines Landes. So sagen es die Bevölkerungsforscher. Schließlich lebten 2021 mit 59 Millionen Personen mehr als 70 Prozent der Deutschen in Großstädten und deren Umland.
In einer am Mittwoch veröffentlichten Studie hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn deshalb die Bevölkerungsentwicklung der Großstädte analysiert. Deutlich wird: Die Großstädte stehen unter erheblichem Anpassungsdruck. Dabei gibt es nicht nur gravierende Unterschiede zwischen ihnen, sondern auch innerhalb der Stadtteile und Quartiere einer Stadt.
Zu verzeichnen ist ein erheblicher Wachstumsschub: Stieg die Einwohnerzahl deutschlandweit zwischen 2011 und 2021 um 3,6 Prozent, legten die beteiligten Großstädte um 7,1 Prozent zu, die Städte über 600.000 Einwohner sogar um 9,5 Prozent. Spitzenreiter war Leipzig mit 17,8 Prozent.
Treiber ist die Zuwanderung aus dem Ausland; ohne sie wären auch viele Großstädte seit 2014 geschrumpft. Zugleich verzeichnete die Mehrheit der Großstädte gegen Ende des Jahrzehnts Wanderungsverluste gegenüber dem Umland. Die Suche nach billigerem Wohnraum und die Sehnsucht nach Leben im Grünen dürften die wichtigsten Gründe für die neue Landlust sein, so das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
Sowohl das BBSR als auch das Statistische Bundesamt gehen für die Zukunft von einer Verlangsamung des Städte-Wachstums oder sogar von Rückgängen für einen Teil der Großstädte aus. Den Kernen der großen Metropolen und den süddeutschen Städten wird ein besonders starkes Plus prognostiziert. Das Bundesinstitut rechnet zugleich aber damit, dass fast 40 Prozent der beteiligten Städte bis 2030 Bevölkerungsverluste verzeichnen. Ursache sind steigende Sterbeüberschüsse und die niedrige Geburtenrate.
Wichtig für die Kommunalpolitik sind nicht nur die Gesamtzahlen, sondern auch die künftigen Strukturen der Bevölkerung: Die Alterung trifft auch die Großstädte – wegen der Zuwanderung aus dem Ausland bisher weniger stark als im deutschen Durchschnitt. Der Anteil von Menschen ab 85 Jahren in den Großstädten nahm gegenüber 2011 um rund 30 Prozent zu, in der gesamten Bundesrepublik betrug das Plus mehr als 35 Prozent. Im Vergleich zu 2011 steigt aber auch die Anzahl von Kindern und Jugendlichen deutlich an. Im Durchschnitt werden 2030 rund 16,3 Prozent mehr unter 18-Jährige in den 55 untersuchten Großstädten leben als 2017.
Die Zahl der Einpersonenhaushalte und der Haushalte mit fünf und mehr Personen stieg deutlich an, die der kleinen Haushalte um 9 Prozent, die der großen Haushalte um 15 Prozent. Der Arbeitslosenanteil und der Anteil der in Gemeinschaften, die Sozialhilfen beziehen, lebenden Personen variierten beträchtlich, wobei süddeutsche Städte geringe Anteile aufwiesen, die Städte im Ruhrgebiet dagegen hohe Zahlen.
Das alles stellt die Städte vor gewaltige Herausforderungen: Die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum steigt. Zugleich erhöhen sich die Bedarfe an kommunaler Infrastruktur wie Schulen oder Kindergärten. Auch steigende Sozialleistungen und wachsende Aufwendungen für die Integration der ausländischen Bevölkerung müssen die Kämmerer schultern.
Auf die wachsende Zahl alleinstehender älterer Personen und die Veränderung von Familienstrukturen müssen die Städte, so die Studie, mit stärkerer Sozialarbeit und einer veränderten Planung in den Stadtteilen reagieren. Nachbarschaften, Treffpunkte und Service-Angebote wie Pflegestützpunkte müssen Vereinsamung vorbeugen und gesundheitliche Bedürfnisse abfedern. Auch die Zuwanderung von Migranten stellt die Städte vor wachsenden Anforderungen an die Wohnungs-, Arbeits- und Bildungsmärkte.