Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: "Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist." aus 1. Petrusbrief 3, 8-17
Ich liebe diese lauen Nächte, in denen es nur kurz dunkelt. Noch bis kurz vor Mitternacht glüht ein roter Streifen am nördlichen Horizont und erzählt davon, dass die Sonne sich nur für wenige Stunden verabschiedet hat. Bereits viereinhalb Stunden später kündigen die ersten Vogelstimmen ihren nahenden Aufgang an.
Diese Zeit der längsten Tage und kürzesten Nächte, besonders der Johannistag, war für unsere Vorfahren voller Geheimnisse. Da klangen vom Meeresgrund die Glocken der versunkenen Stadt Vineta herauf, blaue Blumen erwiesen sich als Schlüssel zu verborgenen Schätzen, verwunschene Seelen konnten durch beherztes Handeln erlöst werden. Jetzt, am Übergang vom Frühling zum Sommer, waren die Kräfte des Guten am stärksten, das Böse zurückgedrängt.
Das feiern auch hier und heute manche Gemeinden mit einem Johannisfeuer. Richtig ausgelassen geht es bei unserer nördlichen Nachbarn zu, bei denen die Sonne kaum unter den Horizont abtaucht. Doch – und das verleiht diesen Feiern auch einen melancholischen Zug – die Skandinavier wissen noch intensiver als wir, dass es von nun an abwärts geht, langsam, aber unaufhaltsam. Zum Michaelistag am 29. September wird schon wieder die Nacht etwas länger sein als der Tag, dann kommen die Nebel und schließlich wird es kaum mehr richtig hell werden.
Es ist wie mit der erschreckenden Einsicht, die manche rund um ihren 40. Geburtstag überfällt: Von nun an geht es nur noch abwärts. Und irgendwo da vorn wartet nur noch der Tod. Oder? Christen stehen unter dem Generalverdacht, angesichts solch harter Realitäten sich eine Scheinwelt zu ersinnen, in der immer der helle Tag herrscht und das Leben ewig sein wird. Schon die Verfolger der ersten Gemeinden konnten sich deren Gelassenheit und Mut nicht anders erklären.
Doch die Hoffnung, von der wir Rechenschaft geben sollen, ist nicht, dass uns das Dunkel erspart bleibt. Diese Hoffnung ist, dass gerade dort, wo es am dunkelsten sein wird, Gott schon da ist, sein Licht entzündet und uns auffängt. Dass es immer wieder auch Weihnachten wird und dann einmal alles nur noch sein Licht sein wird.
Unser Autor
Pastor Tilman Baier ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.
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Gottes Licht
Über kurze Nächte und lange Tage schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.