Genf – Der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) ist ein Meister der diplomatischen Floskel. Seine unverbindlichen, wolkigen Reden ermüden. Doch in diesen Tagen spricht der Südkoreaner Ban Ki Moon Klartext. Anlässlich der Gründung der Weltorganisation vor 70 Jahren resümiert der achte Generalsekretär, die UN seien oft „ein Ort der Frustration und der Unentschlossenheit. Manchmal können sie auch ein Ort der wahnsinnig machenden Untätigkeit sein – wie Syrien am eindrucksvollsten demonstriert“.
Aufgabe: Vor der Geißel des Kriegs bewahren
Tatsächlich bieten die Vereinten Nationen in ihrem Jubiläumsjahr 2015 kein gutes Bild. Die Organisation spielt bei der Verfolgung ihres wichtigsten Zieles, der Schaffung von Frieden, nicht die Rolle, die viele Menschen bei ihrer Gründung erhofft hatten. Genau vor 70 Jahren, am 26. Juni 1945, unterzeichneten Vertreter von 50 Staaten in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen. Am 24. Oktober 1945 trat das völkerrechtliche Regelwerk in Kraft.
Angesichts des Schreckens des Zweiten Weltkrieges sollte die neue Organisation mit ihrem Herzstück, dem Sicherheitsrat, eine Ära des gewaltlosen Miteinanders einleiten. „Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, wurde von den Gründungsstaaten als Leitmotiv ausgegeben.
Doch sieben Jahrzehnte später halten viele blutige Konflikte die Welt in Atem, immer neue brechen auf: Vom Südsudan über Syrien und den Irak bis in die Ukraine und Afghanistan sprechen die Waffen. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, redet von einer „Welt im Krieg“.
Seit Ausbruch des Syrien-Konflikts 2011 wurden mehr als 220000 Männer, Frauen und Kinder getötet, Terrorgruppen wie der „Islamische Staat“ errichten eine Gewaltherrschaft. In den Konfliktländern hungern Millionen Menschen, Kämpfe zerstören Infrastruktur und Wirtschaft.
Insgesamt waren Ende 2014 fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt – weit mehr als 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, dem Gründungsjahr der Vereinten Nationen. „Die globale Flüchtlingskrise ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, aber die internationale Gemeinschaft hat bislang kläglich versagt“, erzürnt sich der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Salil Shetty.
Wenn Experten wie Shetty von der „internationalen Gemeinschaft“ reden, dann meinen sie in erster Linie die Vereinten Nationen. Diese treten jedoch nicht als ein einheitlicher Akteur auf. Es gibt eine Vielzahl von Institutionen wie der Generalsekretär oder das Kinderhilfswerk Unicef. Geht es um Krieg und Frieden, dann sollte laut Charta der Sicherheitsrat in Aktion treten.
In den vergangenen Jahren aber ließen die 15 Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums viele Konflikte treiben, statt einzugreifen. Zudem schaffte es der Rat nicht, den Ausbruch neuer Konflikte zu verhindern.
Knackpunkt ist das Veto-Recht der fünf Großen
Hauptursache der Passivität: Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Sie können mit ihrem Einspruch jeden Beschluss des Rates vereiteln. Sobald die Interessen der Vetomächte aufeinanderprallen wie im Falle Syrien oder Ukraine, glänzt der Sicherheitsrat durch Nichtstun.
Allerdings dürfe das Vetorecht nicht pauschal verurteilt werden, sagt der Frankfurter Politikwissenschaftler Harald Müller. Das Vetorecht solle verhindern, „dass eine Mehrheit des Sicherheitsrates gegen die vitalen Interessen einer Großmacht den Gewalteinsatz beschließt“, analysiert Müller. „Es folgt der Intention, dem großen Krieg vorzubeugen.“
Seit Langem dringen Fachleute auf eine grundlegende Reform des Rates. So präsentierte eine internationale Kommission unter Co-Vorsitz der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright Vorschläge für ein verändertes Abstimmungsverfahren, womit das Veto teilweise entschärft werden soll. Nur: Bislang scheiterten alle grundlegenden Reform-Initiativen für den Sicherheitsrat am Widerstand eben jener Vetomächte.
Somit muss Generalsekretär Ban den Zustand der Vereinten Nationen 70 Jahre nach ihrer Gründung so zusammenfassen: Die Organisation „bleibt ein unvollendetes Werk“.