Seit knapp einem Jahr ist Ulrike Weber Pfarrerin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde im nordgriechischen Thessaloniki. Harald Krille sprach mit ihr über ihre Erfahrungen in einer Gemeinde mitten in der Krise.
☐ Frau Weber, schön, dass Sie Zeit für ein Gespräch haben und nicht in einer der Schlangen vor den Bankautomaten stehen, die man in den Medien immer sieht …
Also ich selbst habe noch keine Schlangen gesehen, aber mein Mann. Hintergrund ist, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr hier noch lange nicht so verbreitet ist wie etwa in Deutschland. Deshalb brauchen die Menschen unbedingt Bargeld.
☐ Und wie nehmen Sie sonst die Situation wahr?
Wir sind seit 1. September vergangenen Jahres hier, kamen also schon in das Land der Krise. Die Probleme sind seither deutlich größer geworden. Bei den Frauen unserer Gemeinde, zumeist Deutsche, die mit griechischen Männern verheiratet sind, sehe ich sorgenvolle Gesichter. Niemand weiß, was auf die Menschen zukommt, ein Ende ist nicht abzusehen. Viele gehörten früher eher zu den gut situierten Familien, durch die Krise sind sie inzwischen alle betroffen. Unter ihnen erlebe ich Solidarität. Man macht sich gegenseitig Mut, organisiert Flohmärkte und Kleiderbörsen, wo man sich gegenseitig mit Dingen aushilft.
☐ Auf der Internetseite Ihrer Gemeinde finden sich auch etliche sozialdiakonische Angebote.
Schon seit 2010, also vom Beginn der Krise an, hat die Gemeinde ihre sozialdiakonische Arbeit verstärkt. Und unsere Hilfsangebote werden zunehmend in Anspruch genommen. Nicht nur von Menschen, die zur Gemeinde gehören.
☐ Welche konkreten Hilfen bietet die deutsche Gemeinde an?
Weihnachten und Ostern haben wir Lebensmittelpakete zusammengestellt und an Bedürftige abgegeben. Wir haben Kontakt zu einem Sozialarbeiter im Gefängnis. Von dort kam im Winter die Anfrage nach Wolldecken, weil die Gefängnisinsassen frieren. Es sind oft die Dinge für den Alltag der Menschen. Hygieneartikel, Duschbad und Ähnliches. Diese Artikel sind in Griechenland teurer als in Deutschland, manche können sie sich einfach nicht mehr leisten.
☐ Woher nehmen Sie das Geld für solche Hilfen?
Wir haben gute Kontakte zum Diakonischen Werk in Baden-Württemberg und zum Gustav-Adolf-Werk. Und wir werden von der Evangelischen Kirche in Deutschland unterstützt. Aber das ist gemessen am Bedarf alles ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen zusehen, dass wir Spenden bekommen. Und da brauchen wir viel Phantasie. Ich biete beispielsweise Hochzeiten für Brautpaare aus Deutschland hier in Thessaloniki an – mit Trauung am Strand oder auf der Hotelterrasse. Dafür nehmen wir eine Gebühr, die vollständig der diakonischen Arbeit zugutekommt. Die jungen Paare sind gern bereit, die Gebühr zu zahlen, weil sie wissen, dass sie damit konkret helfen können.
☐ Die orthodoxe Kirche in Griechenland gilt nicht gerade als arm. Was geschieht von dieser Seite?
Es ist unterschiedlich: Die eine oder andere griechisch-orthodoxe Kirche nimmt sich sehr der Armen an. Das ist nicht zuletzt vom jeweiligen Metropoliten abhängig. Wir haben guten Kontakt zu dem Metropoliten Barnabas, der hier in Thessaloniki eine große Armenspeisung organisiert. Da gehen täglich Tausende von Essen an die arme Bevölkerung. Wir haben auch Kontakt zur evangelisch-griechischen Kirche, die sich ebenfalls sehr um die Menschen bemüht. Die ökumenische Landschaft hier in und um Thessaloniki ist sehr bunt und lebendig. Da wird nicht zuerst gefragt, was der andere glaubt, sondern was gemeinsam getan werden muss.
☐ Was würden Sie den Lesern der Kirchenzeitung gern ans Herz legen?
Wir stellen immer wieder fest, dass die offizielle Berichterstattung nicht ganz das widerspiegelt, was die Menschen hier in ihrem Herzen bewegt. Die wünschen sich vor allem Solidarität. Deshalb wäre es eine Katastrophe, wenn in Deutschland jetzt alle denken würden, es sei schwierig oder gar gefährlich, nach Griechenland zu reisen. Um Gottes willen! Also bitte: Herkommen, sich das Land besehen, Urlaub machen und die Menschen lieb gewinnen. Das ist es, was dieses Land neben Investitionen von Firmen braucht. Wer konkret helfen will: Mit mir Kontakt aufnehmen über E-Mail oder Telefon. Ich freue mich herzlich über jeden Kontakt, der zustandekommt.
Kontakt: Evangelische Kirche deutscher Sprache Thessaloniki, P. Patron Germanou 13, GR-54622 Thessaloniki, Telefon (+30) 23 10 27 44 72, E-Mail www.evkithes.net.