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Gegen das Schubladendenken im Kopf

Praxishilfe von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus des Regierungsbezirks Arnsberg und der Gewalt Akademie Villigst für die Arbeit mit Kindern soll Vorurteilen so früh wie möglich entgegenwirken

Ein Schulhof mitten im Regierungsbezirk Arnsberg. Es ist gerade Pause. Mehrere hundert Kinder tummeln sich auf dem Außengelände der Grundschule. Es wird gelacht, geplaudert, gerangelt und gespielt. Ein Fangspiel, wie das gute alte Räuber und Gendarm, ist gerade sehr beliebt. Heute nennen es die Kinder nur anders, nämlich Hitler und Nazis. Nur ein paar Meter weiter, wahlweise auf Tischen oder an Wänden: Hakenkreuze.
„Als Mobile Beratung werden wir zunehmend von Grund- und Förderschulen wegen rassistischer und rechtsextremer Parolen und Symbolen angefragt“, berichtet Dieter Frohloff, Leiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Arnsberg und Mitarbeiter des Amtes für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen. Lehrer schildern besorgt Vorfälle, in denen sich Kinder rassistisch geäußert haben oder sich mit Symbolen und Verhaltensweisen auf den Nationalsozialismus beziehen.
Die Tatsache an sich verwundert die Pädagogen kaum. Junge Menschen orientieren sich an dem, was sie in ihrem Alltag sehen. Dies gelte eben genauso für rassistisches Verhalten. Darin, so die Experten, läge aber gleichzeitig die Chance für eine nachhaltige Diskriminierungsprävention für Kinder. Gerade in der Altersgruppe der Acht- bis Zwölfjährigen könne eine wertschätzende und deutlich nicht rassistische Haltung von Pädagogen eine nachhaltige Wirkung zeigen.
Die Gewalt Akademie Villigst (GAV) arbeitet seit über einem Jahrzehnt daran, Gewalt und Rassismus angemessen entgegenzutreten. Sie entwickelt Arbeitsmaterial, spezielle Übungen und bildet Deeskalationstrainer aus.
Nicole Gerlach aus dem Leitungsteam der GAV bestätigt die Erfahrungen der Mobilen Beratung. „Auch in unserer Arbeit beobachten wir diese Tendenzen. Und nicht nur in Schule, sondern auch in der Jugendarbeit. Dies veranlasste uns, das Thema nochmal anders als bisher zur Sprache zu bringen – nämlich so früh wie möglich“, so die Erziehungswissenschaftlerin. Ergebnis: In Zusammenarbeit mit der GAV und der Mobilen Beratung ist nun das neue 110 Seiten starke Praxis- und Methodenhandbuch „Rassismuskritische Arbeit mit Kindern“ erschienen. Damit können die Berater nun den Fragenden „Wie kann ich denn sinnvoll mit Kindern zu diesem Thema arbeiten?“ etwas ganz Praktisches an die Hand geben. Vorhandene Publikationen deckten bislang eher die höheren Altersgruppen ab.
Den thematischen Kapiteln der Praxishilfe „Vielfalt“, „Sprache“, „Interkulturelles Lernen“, „Demokratie, Mitbestimmung und Teilhabe“ und „Interreligiöses Lernen“ stehen grundlegende Überlegungen zum jeweiligen Thema voran. Die darauf folgenden Methoden sind übersichtlich strukturiert, mit Vorschlägen für Variationen, Beispielen sowie Erfahrungen der Herausgeber ergänzt.
Die Übung „Nadelstiche“ aus dem Kapitel „Demokratie“ etwa bearbeitet die Themen Gruppendynamik, Macht und Mitläufer. „Wie alle Übungen eröffnet sie Kindern die Möglichkeit, selbst zu erleben, wie es sich anfühlt, „der Andere“ zu sein“, erklärt Lenard Suermann vom Team der Mobilen Beratung. Bei dieser Übung gehe es speziell darum, die Wirkung von Ausgrenzung zu spüren, Macht und Ohnmacht zu erfahren sowie Betroffenheit zu wecken und herzustellen.
Der Leser erhält neben einer Beschreibung der Übung Angaben zur genauen Altersgruppe, zur Dauer der Übung und welches Material eventuell benötigt wird. Zu finden sind außerdem Reflexionsfragen an die Teilnehmenden und ein Absatz zu Gefahren, Hürden und Fettnäpfchen.
„Wir möchten dazu beitragen, schon bei den Acht- bis Zwölfjährigen das Schubladendenken im Kopf zu überwinden und Worte, die wehtun, zu vermeiden. Unser Ziel ist eine Kultur und Haltung der gegenseitigen Wertschätzung“, formuliert Siegrid Lorberg-Tamakloe, Politikwissenschaftlerin und Mit-Autorin, ihr Engagement.
Die Gewalt Akademie Villigst bietet begleitend zum Methodenhandbuch Seminare und Weiterbildungen an. Dabei arbeitet sie sowohl mit Multiplikatoren als auch mit Kindern selbst. Interessierte finden den Kontakt unter www.gewaltakademie.de.

Das Handbuch wird gegen eine Schutzgebühr von sechs Euro abgegeben. Zu beziehen ist es über den Shop unter www.gewaltakademie.de oder beim Amt für Jugendarbeit der EKvW – Edition Zebra – in Schwerte, E-Mail: gudrun.kirchhoff@afj-ekvw.de.